Im zweiten Teil geht es von Chemnitz nach Annaberg

Der Aufenthalt in Chemnitz war sicherlich nur kurz und es ging bald weiter über die Lange Straße nach rechts in die Chemnitzer Straße auf die Annaberger Straße. Sollte der Postkutscher noch ein technisches Problem an der Kutsche haben, das er vor der Fahrt ins Gebirge noch beheben wollte, machte er einen kleinen Umweg in die Posthalterei Aue 7. Dort konnte Karl Friedrich Baum, der Wagenmeister, eine Reparatur durchführen. Die Kutsche fuhr dann über die Beckerbrücke auf die Annaberger Straße.

Den Harthauer Berg hinauf ins Gebirge

Gleich hinter Chemnitz wartete der Harthauer Berg auf unsere Reisenden. Waren inzwischen auch die Poststraßen des Erzgebirges chausseeartig ausgebaut? Eine statistische Erhebung vom 1. Januar 1831 wies schon 1780 Kilometer vollendeter Kunststraße im Königreich Sachsen aus. Davon entfielen auf die:

- Meissener Kreise      660 km

- Leipziger Kreise         380 km

- Erzgebirgischen Kr.   520 km

- Voigtländischen Kr.  120 km

- Oberlausitzer Kr.       100 km

Als einer der ausgebauten Hauptstraßenzüge wurde ausdrücklich die Strecke Leipzig über Borna, Penig und Chemnitz nach Böhmen genannt (1).

Betrachtet man die nebenstehende Karte mit dem Harthauer Berg nach dem Ausbau zur Chaussee, erkennt man den Bogen, der die Steigung mildern sollte. Dieser Verlauf entspricht noch nicht der heutigen Bundesstraße 95, sondern führte auf Höhe des Lehngerichts nach links die alte Annaberger Straße hinauf und mündete dann in die heutige Straße ein, wodurch dieser Bogen entstand. Früher war das nicht so, die Poststraße verlief geradewegs den Berg hinauf.

Diese Entwicklung scheint für die damalige Zeit typisch gewesen zu sein und war sehr zukunftsorientiert, denn bald würden die Automobile ganz andere Anforderungen an die Straßen stellen.

Weiter ging es dann vorbei an der Bergschenke Klaffenbach, es sei denn es gab Post auszutauschen, denn der Wirt, Herr Friedrich, war auch Posthalter. Ansonsten war es den Postillionen streng untersagt, vor Privat- und Gasthäusern oder außerhalb der Stadt zur Aufnahme von Personen ohne Wissen des Postamts anzuhalten.

Fahrt durch Burkhardtsdorf

Burkhardtsdorf 1840 Quelle: Bildarchiv der Gemeinde
Burkhardtsdorf 1840 Quelle: Bildarchiv der Gemeinde

Nun ging die Fahrt weiter den Berg hinunter nach Burkhardtsdorf. Wie der Kupferstich von 1840 zeigt, war Burkhardtsdorf noch weit von der heutigen Ansicht entfernt. Man erkennt jedoch die wesentliche Veränderung die gerade stattgefunden hatte. Die Poststraße verlief auch hier nicht mehr auf dem kürzesten und steilsten Weg, die Lessingstraße hinunter und am Gasthof zur Sonne vorbei, wie auf dem Bild in der Mitte zu sehen, sondern schräg am Hang des Niklasberges entlang. So verlief die 1839 eröffnete neue "Kunststraße" entsprechend der heutigen Fahrbahn der Bundesstraße. Die Ortsmitte wurde somit "verkehrsberuhigt".

Der Gasthof Auenberg in der ersten Ausbaustufe
Der Gasthof Auenberg in der ersten Ausbaustufe

Sehr zum Leidwesen von Christian Friedrich Eckhardt, dem Wirt des Gasthofes zur Sonne. Er bangte um sein Geschäft. Er ergriff die Flucht nach vorn und ließ einen neuen Gasthof an der Chaussee bauen: den Gasthof Auenberg. So wie hier abgebildet, sah der Gasthof schon nach der Eröffnung 1840 aus. Später erfolgten viele Erweiterungen.

Unsere Postkutsche musste 1850 allerdings daran vorbeifahren, denn der Gasthof Auenberg war noch keine Poststation. Das erfolgte erst 6 Jahre später, als Burkhardtsdorf seine erste Poststelle erhielt.

Dem heutigen Verlauf der B95 folgend, würde unser Kutsche nun über die Brücke der Zwönitz fahren, aber die wurde erst 1874 im Zuge des Eisenbahnbaues errichtet. Deshalb ging es nochmal steil nach unten zu einer Furt direkt durch den Fluß und die gegenüber liegende Böschung wieder hinauf zur neuen Chaussee. Es war eben noch nicht alles perfekt.

Die Besenschänke
Die Besenschänke

Nach dem Verlassen von Burkhardtsdorf ging die Fahrt wieder bergauf durch den dunklen Wald. Hier tauchte nun eine weitere neue Gaststube auf, die erst vor 2 Jahren eröffnete Besenschränke. Auch wenn die regulären Postkutschen nicht halten durften, profitierten die Wirtsleute vom wachsenden Verkehr auf der Trasse zwischen Chemnitz und Annaberg bis nach Böhmen. Alle anderen Fuhrwerke, fahrende Händler, Fußreisende und Reiter konnten ja in der Besenschränke einkehren und bei Speis und Trank die neuesten Geschichten austauschen. Im Jahre 1850 wurde gerade eine besonders blutrünstige Begebenheit zum Besten gegeben. Über sie wurde sogar im fernen Bayern, in den "Bayreuther Zeitung" berichtet.

Gestern in den Nachmittagsstunden hat in der Nähe von Burkhardtsdorf ein schauderhaftes Verbrechen stattgefunden. Der Handelsweber Pietzsch aus Chemnitz, 66 Jahre alt, kam mit seiner Ehefrau, ungefähr 40 Jahre alt, vom Wiesenthaler Markt. Seit längerer Zeit in ehelichen Zwiste lebend, gerieten Beide auf der Annaberger Chaussee in der Nähe von Burkhardtsdorf in heftigen Wortwechsel. Pietzsch ergriff ein Rasiermesser und brachte seiner Frau im Gehen eine Schnittwunde bei, stürzte dieselbe über einen Steinhaufen in den Straßengraben und versetzte derselben noch mehrere bedeutende Verletzungen im Genick, worauf sie besinnungslos liegen blieb. Pietzsch selbst sprang fort und suchte sich in einiger Entfernung selbst zu entleiben, hatte sich ebenfalls bedeutende Verletzungen am Halse beigebracht, sodaß er am anderen Morgen starb.

Nächster Halt Gelenau

Gasthof Ober-Gelenau 1903
Gasthof Ober-Gelenau 1903

Nun sollte um 8.25 Uhr in Gelenau Station gemacht werden. Allerdings führte die Chaussee an Gelenau vorbei. Der Verlauf entsprach der heutigen B95, es gab jedoch, bis auf eine 1/2 Meilen Postsäule, noch keine Bebauung. Wo hielt also die Postkutsche? Eine alte Meilenkarte von 1788 gibt Auskunft. Sie zeigt einen Gasthof am Ortsausgang von Gelenau auf der rechten Seite direkt an der alten Poststraße. Das war der spätere Gasthof Ober-Gelenau. Er war sehr hoch gelegen mit einer sehr guten Aussicht und hatte eine Pferdeausspannung für die Fuhrleute. Die Gaststätte, die es heute nicht mehr gibt, lag auf der gleichen Höhe wie der Marktplatz von Annaberg. 

Station Thum

Das Rittergut Hof-Thum 1856 Quelle (2)
Das Rittergut Hof-Thum 1856 Quelle (2)

Die Fahrt von Gelenau nach Thum führte im Wesentlichen die heutige Bundesstraße entlang. Allerdings gab es die Serpentine am Thumer Berg noch nicht. Die Chaussee verlief steil den Berg hinab und natürlich in umgekehrter Richtung genauso steil bergauf. Die Strecke zwischen Burkhardtsdorf und Thum war jedoch gerade erst zur Chaussee ausgebaut worden. Am 8. Mai 1848 begann, von der Stadt Thum ausgehend, diese staatliche "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für die nach einer Hungersnot verarmte Bevölkerung. Hunderte bewarben sich, aber nur 80 Männer konnten angestellt werden. (3) Ob die Strecke 1850 fertiggestellt war, ist nicht sicher, aber wahrscheinlich.

Betrachtet man das oben stehende Bild vom ehemaligen Rittergut Hof-Thum, sieht man wie weit das heutige Stadtbild von 1850 entfernt ist. Heute befindet sich die Stadtverwaltung Thum im Hauptgebäude des ehemaligen Rittergutes. Damals lag Hof-Thum außerhalb der Stadt. Auch die Reisenden sahen die Gebäude nur aus der Ferne, denn die Poststation befand sich am Markt im Eckhaus Kirchstraße 2, also zwischen dem Ratskeller und der evangelischen Kirche. Diese sogenannte Postexpedition wurde schon 1766 eingerichtet und blieb für ca. 100 Jahre an diesem Ort. 1850 war Karl Ernst Hartmann der Thumer Postverwalter. Er empfing schon eine halbe Stunde nach dem Halt in Gelenau unsere Reisenden.

Nach Ehrenfriedersdorf

Streckenführung der Poststraße auf einer Karte von 1788
Streckenführung der Poststraße auf einer Karte von 1788

Wie die Fahrt im Jahre 1850 weiterging ist nicht eindeutig. Bisher verlief die Poststraße über die Berge (grün markiert) zunächst in Thum die Bahnhofstraße entlang, dann über den Weg "Am Stadtpark", weiter über die "Alte Stollberger Straße" zur Greifensteinstraße die in Ehrenfriedersdorf auf dem Neumarkt endete.

Allerdings wurde um 1850 eine weitere Halbchausse gebaut, die Altchemnitzer ‐ Ehrenfriedersdorfer Halbchaussee (blau). Sie verlief über Einsiedel und Herold bis zur heutigen B95 (gelb gekennzeichnet). Durch diese neue Einmündung wurde die Poststraße ins Tal verlegt und die Bergstrecke verlor an Bedeutung. Die Ehrenfriedersdorfer Postexpedition lag vermutlich am Neumarkt. Um 9.35 erreichte die Postkutsche planmäßig die Station. Von dort ging es wieder den Berg hinauf, an mehreren Pochwerken vorbei, Richtung Schönfeld. In 1 1/2 Stunden sollte die Endstation in Annaberg erreicht werden.

Über Schönfeld nach Annaberg

Das Rittergut Schönfeld um 1860
Das Rittergut Schönfeld um 1860

Schönfeld hatte keine Poststation und es gab somit keinen Zwischenstopp. Mitten im Ort könnten die Reisenden, wenn sie nach rechts aus dem Fenster schauten, das Rittergut Schönfeld sehen. Es befand sich im heutigen Alleeweg. Hier wohnte der ehemalige Bürgermeister von Annaberg, Carl Friedrich Reiche-Eisenstuck. Er war auch Annaberger Postmeister in 3. Generation, denn sein Großvater war schon 1734 Königlich Polnischer und Churfürstlich Sächsischer Postmeister. 1824 hatte der Rittergutsbesitzer den "Annaberger Postwagen" entwickelt, ausgestattet mit einem Verdeck und bequemen Sitzen trug er zur Erleichterung des Reisens auf der Strecke Leipzig - Chemnitz - Annaberg bei. 1850 war nun sein Sohn, der auch Carl Friedrich hieß, schon mehrere Jahre Postmeister und der berühmte Vater verbrachte seit einem Jahr seinen Ruhestand im Rittergut.

Die Fahrt ging in Schönfeld weiter ins Tal über die Zschopau und die heutige Chemnitzer Straße hinauf nach Annaberg. Welcher Anblick sich den Reisenden im Jahre 1850 auf die Stadt bot, ist schwer zu sagen, denn Annaberg befand sich genauso, wie die Leipzig und Chemnitz im Umbruch. Zehn Jahre zuvor gab es noch die Stadtmauer mit seinen fünf Toren. Sie war jedoch verfallen und alle Tore wurden bis 1843 abgebrochen. Danach folgte auch die Stadtmauer, bis auf wenige heute noch erhaltenen Resten.

Annaberg nach 1866 von der Nordwestseite
Annaberg nach 1866 von der Nordwestseite

Um 1850 sahen die Reisenden nichts mehr von der Stadtmauer, sie war schon abgerissen und durch eine mit Bäumen bepflanzte Promenade ersetzt. Die abgebildete Chemnitz-Annaberger Staats-Eisenbahn

 gab es noch nicht. Der Bau begann erst 1862.

In Annaberg

Ausschnitt Grundriss von Annaberg 1843
Ausschnitt Grundriss von Annaberg 1843

Die Reisenden waren damals sehr angetan von der Ankunft in Annaberg. Im "Annaberger Wochenblatt" von 1834 berichtete ein Ankömmling: "Ich eilte nach Annaberg zu, und schon in der Nähe des Weichbildes merkt man das Bestreben der dortigen Verwaltung, ihre Stadt ringsum zu verschönern. Chausseen und Baumanlagen, Sicherheits-Barrieren und Ruheplätze trifft man überall, wo es notwendig ist und Bequemlichkeit winkt. So ist es in der Stadt selbst; schmucke und reinliche Häuser und Straßen, gerader und herzlicher Bürgersinn und für Fremde eine gewünschte Aufnahme im Wilden Mann." Unsere Postkutsche fuhr nun am Stadtgottesacker vorbei zum ehemaligen Wolkensteiner Tor und dann die Wolkensteiner Straße entlang zum Markt. Die Annaberger Postexpedition befand sich damals im dritten Haus links in der Buchholzer Gasse. Durch ein Tor gelangte die Kutsche auf den Innenhof und hatte ihr Ziel erreicht. Es war Vormittag um 11 Uhr und nach 15 Stunden anstrengender Fahrt, konnten die übernächtigten Insassen ihr Gepäck ausladen.  Ob die Fahrgästen den Postdirektor Carl Friedrich Reiche-Eisenstuck zu Gesicht bekamen ist zu bezweifeln, denn er war auch der amtierende Bürgermeister und hielt sich meist im nahe gelegenem Rathaus auf. Am Postschalter stand sicher der Expeditionsvorsteher oder der Postsekretär, vielleicht auch nur ein Post-Eleve.

Das Annaberger Postamt von 1698 - 1881 Wolkensteiner Str. 5
Das Annaberger Postamt von 1698 - 1881 Wolkensteiner Str. 5

Das Postamt hatte damals die Hausnummer 833 und über der Toreinfahrt war eine Steintafel angebracht. Auf ihr war ein galoppierendes Pferd mit dem Motto "Nunquam retrorsum"(lateinisch für Niemals zurück) angebracht. Das Expeditionslokal war nur eine Stube mit dem Schalter, denn im Haus befand sich auch der Gasthof zum weißen Ross.

Unser Kunstgärtner aus Leipzig, wollte bekanntlich weiter nach Karlsbad reisen und seine Anschlusskutsche fuhr erst am nächsten Tag um 4 Uhr 30 ab. 

Gasthaus und Hotel Museum 1850
Gasthaus und Hotel Museum 1850

Er brauchte also eine Übernachtungsmöglichkeit. Die fand er im Haus gegenüber, dem Hotel Museum, dem späteren Erzhammer. Zum Markt zu befand sich das gleichnamige Gasthaus mit zwei Sälen und einer geräumigen Gaststube. Hier ging es bürgerlich zu, aber am Marktplatz gab es noch mehr Einkehrmöglichkeiten für hungrige Ankömmlingen.

Zum Wilden Mann 1850
Zum Wilden Mann 1850

Das erste Haus am Platz war schon seit dem 16. Jahrhundert das Gasthaus zum Wilden Mann. Hier kehrten schon immer die besser betuchten Herrschaften ein. Schon im Jahre 1712 als Zar Peter der I. auf dem Weg nach Karlsbad in Annaberg beim Bürgermeister zu Gast war, wohnten seine Offiziere und die ganze Begleitmannschaft im Wilden Mann. Glaubt man den Überlieferungen, waren sie des Lobes voll. Wem das Lokal nicht deftig genug war konnte noch in das älteste Lokal von Annaberg, die Goldene Gans ausweichen. Der Renaissancebau aus dem Jahre 1497 bot einheimische Küche. Natürlich gab es noch einen Ratskeller, der aus dem ursprünglichen Baujahr 1535 des Rathauses stammt.

Nach dem ausgiebigen Mittagessen, hatte unser Reisender sicher noch den Marktplatz als Ausgangspunkt einer Stadtbesichtigung genutzt. Eine Besuch der St. Annenkirche mit einer Turmbesteigung, könnte ein abendlicher Höhepunkt mit dem Rundblick auf die alte Bergstadt und seine Umgebung gewesen sein. Doch dann ging es zurück ins Hotel um den versäumten Schlaf der letzten Nacht aufzuholen. Am nächsten Morgen zwischen halb und um Vier war die Nacht schon vorbei. Die Postkutsche nach Karlsbad würde nicht warten, falls er verschlafen sollte.

Eine Postkutsche auf dem Weg in die Buchholzer Gasse 1850
Eine Postkutsche auf dem Weg in die Buchholzer Gasse 1850

Hier endet der 2. Teil der Fahrt mit der Postkutsche von Leipzig nach Karlsbad. Die Strecke von Annaberg über Oberwiesenthal nach Karlsbad in Böhmen folgt im dritten Teil.


Quellen

(1) Reisetaschenbuch oder statist.-histor. Wegweiser, L. Freiherr von Zedlitz, Leipzig 1834

(2) Album der Rittergüter und Schlösser des Königreichs Sachsen, Leipziger Kreis, F. Heise, 1860

(3) Aus Gelenaus Vergangenheit, P. Dr. Christian Hermann Fritzsche, Thum 1885