Michael Uhlig, Der Landfuhrmann

von Frank Müller, Klaffenbach

"Hüa!" Vier kräftige Pferde legten sich in das Geschirr. Langsam setzte sich das schwer beladene Fuhrwerk in Bewegung. Der Fuhrmann Michael schob seinen Hut in die Stirn. Hier oben wehte ein frischer Wind. Aber das störte ihn wenig. Er trug einfache, aber warme Kleidung. Eigentlich hätte er an der Claffenbacher Bergschencke nicht anhalten wollen. Aber das rechte Vorderpferd hatte am Harthauer Berg plötzlich ein Hufeisen verloren. Da war doch es besser, die Pferde zu schonen und möglichst bald die Dienste eines Schmiedes in Anspruch zu nehmen. Dabei hätte er längst zu Hause bei Sophia und den Kindern sein wollen.

Während der Schmied noch eine andere Arbeit beendete, hatte Michael in der Schencke ein frisches Brot gekauft.1 Zur Feier des Tages würde seine Frau ihnen zum Butterbrot eine Tasse Coffee kochen, den er in Leipzig gekauft hatte. Der Kaufmann hatte ihm berichtet, daß unlängst sogar der dortige Cantor Bach diesen Trank besungen habe.2 Nun, wenn alles gut ging, würde er in eineinviertel Stunden auf seinem Hof ankommen.

Alles in allem war Michael Uhlig recht zufrieden. In Lüneburg hatte er vor zehn Tagen zu einem günstigen Preis Salz eingekauft. Schier endlos dehnte sich der Weg durch das Tiefland. Uelzen, Calvörde und Haldensleben hatte er passiert, ehe endlich Magdeburg in Sicht kam. Über Calbe, Köthen und Zörbig war er nach Leipzig gelangt. Hinter Borna und Frohburg begann das Hügelland und in Penig mußten seine Pferde zum ersten Male richtig kräftig ziehen. Heute früh war er in Chemnitz gewesen.3

Natürlich waren während der langen Reise unterwegs an den Schlagbäumen Wege- und Brückenzölle zu bezahlen, aber für ihn blieb dennoch genug übrig. Wenn erst der Winter kam und alle Bauern schlachteten, würden sie wieder viel Salz brauchen, um das Fleisch haltbar zu machen. Wie es in der Speisekammer duftete, wenn die frisch geräucherten und gepökelten Schinken und Würste dort hingen! Auch für die Zubereitung des Sauerkrautes und für die sauren Gurken benötigte man Salz. Wenn Michael an all die Köstlichkeiten dachte, lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Wenn im Frühjahr die Felder bestellt waren, konnte er sich auf die weite Reise nach Lüneburg begeben. Für die sechsundachzig Meilen hin und zurück benötigte er etwa drei Wochen. Anna Sophia und Eva Dorothea waren zwar schon außer Haus, doch Maria Elisabeth, Maria Rosina, Hanna Regina und Michael halfen der Mutter schon tüchtig auf dem Hof und kümmerten sich auch um ihre kleinen Schwestern Anna Maria und Dorothea Elisabeth.4

In Kursachsen waren jetzt die Chausseen recht gut ausgebaut, deshalb konnte er die meiste Zeit auf dem Sattelpferd reiten.5 Anhand der Postmeilensteine konnte er genau sehen, welche Strecke er schon zurückgelegt hatte.6 Aber dort, wo der Weg schlecht und uneben war, mußte er neben seinen Pferden zu Fuß gehen, damit kein Unheil geschah.

Jetzt fiel die Chaussee steil ab nach Burckersdorff, da konnte er nicht länger seinen Gedanken nachhängen. Hier mußte er aufpassen und den schweren Wagen rechtzeitig abbremsen. Unten im Tal würde er die Chaussee verlassen und den schmalen Fahrweg nach Kemptau nehmen, wo seine Familie bestimmt schon auf ihn wartete.


1Die Klaffenbacher Bergschenke war eine alte Poststation. Der Entwurf zum Brandkataster von 1839 bezeugt das Vorhandensein sowohl einer Schmiede, als auch eines Backofens und eines Brotschuppens. Man sehe die Übertragung dieser Verhältnisse auf die Zeit um 1735 als künstlerische Freiheit an.

2Das Buch "Burkhardtsdorf im Wandel der Zeit" erzählt auf S. 77, die Fuhrmannsfamilie Uhlig habe aus den Türkenlagern vor Wien den ersten Kaffee nach Burkhardtsdorf und Kemtau gebracht. Hier sind wahrscheinlich zwei verschiedene Dinge zu einer Familienlegende verschmolzen. Beim Entsatz der Stadt Wien von der zweiten Türkenbelagerung im September 1683 fiel tatsächlich Kaffee in die Hände der Befreier, unter denen sich auch 11000 kursächsische Soldaten befanden. Aber Michael Uhlig jun., von dem hier die Rede ist, war damals erst ein Jahr alt. Sein Vater Michael Uhlig sen. war noch kein Landfuhrmann. Michael Uhlig jun. mag tatsächlich der Erste gewesen sein, der Kaffee aus der Ferne ins Dorf brachte. Der Kaffeegenuß war indessen in Leipzig um 1735 schon weit verbreitet, wie der 1732 von Picander gedichtete Text der Kaffee-Kantate beweist.

3Über die tatsächlich gewählte Route sind mir keine Aufzeichnungen bekannt. Ich habe die kürzeste Strecke bis Lüneburg von knapp 390 km mit etwa 86 Stunden Fahrtzeit angenommen, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 4,5 km/h entspricht. Bei 10 Tagen Reisezeit wären das täglich etwa 8 1/2 Stunden reiner Fahrtzeit, ohne die notwendigen Pausen für die Fütterung. Ein Vierspänner könnte diese Fahrtleistung mit etwa 4-5 t Nutzlast durchaus erbracht haben.

4Von den 17 Kindern Michael Uhligs waren neun bereits im Säuglingsalter verstorben. Gemäß dem Sterbeeintrag der Mutter hinterließ diese 1757 einen Sohn und sieben Töchter, die alle verheiratet waren und bereits insgesamt 67 Enkel und 5 Urenkel hervorgebracht hatten.

5Die damaligen Gespanne hatten oftmals keinen Kutschbock. Der Gespannführer ritt statt dessen auf dem linken hinteren Pferd. Das rechte Pferd wurde als Handpferd bezeichnet. Die Abbildung stammt von einem Grabstein der Familie Uhlig und zeigt genau deren Fuhrwerk.

6Der Viertelmeilenstein, welcher unweit der Bergschenke stand und die Postmeilensäule an der Lessingstraße in Burkhardtsdorf wurden 1723 gesetzt. Sie befinden sich aber beide nicht mehr am ursprünglichen Standort.