Mit der Postkutsche von Leipzig nach Karlsbad anno 1850

Erster Teil von Leipzig nach Chemnitz

Eine Postkutsche um 1850
Eine Postkutsche um 1850

Hundert Jahre nach der beschriebenen Postkutschfahrt von 1750, hat sich die Welt verändert. Nun soll noch einmal, am Ende der Postkutschenzeit, der Versuch unternommen werden, die Reisebedingungen auf der Strecke von Leipzig, über Chemnitz und Annaberg bis nach Karlsbad zu beschreiben. Natürlich führt diese Fahrt auch durch Burkhardtsdorf.

Wie die Abbildung zeigt sehen nun die Postkutschen so aus, wie man sie sich vorstellt, ein gelber Wagen mit dem Postillion, der ins Posthorn bläst. 

Der Sachsendreier von 1850
Der Sachsendreier von 1850

Was ist alles passiert in den letzten hundert Jahren? Da war zunächst einmal der Siebenjährige Krieg, der die Einsicht brachte, dass die Stadtmauern und Festungen nichts taugten. Die Städte ließen die Befestigungsanlagen verfallen und können sich somit weiter ausdehnen. Die einsetzende Industrialisierung wäre in den alten Stadtgrenzen gar nicht möglich gewesen. Das neue Transportmittel Eisenbahn, veränderte das Leben der Menschen und auch die Post. In Sachsen dürfte 1850 auch der Sachsendreier, Sachsens erste Briefmarke, die am 29. Juni 1850 erschien, Gesprächstoff gewesen sein. Doch nun soll die Reise in Leipzig beginnen.

Wer fuhr in der Postkutsche mit?

Der Arbeitsplatz unseres Reisenden Quelle: Wikipedia
Der Arbeitsplatz unseres Reisenden Quelle: Wikipedia

Aber welcher Leipziger könnte im Jahre 1850 in der Postkutsche gesessen haben um zu einer Bäderreise nach Carlsbad aufzubrechen? Er war sicher kein gut betuchter Fabrikant oder Staatsdiener, diese hätten sich eine persönliche Kutsche gemietet oder besaßen sogar eine eigene samt Kutscher. Wer mit der gewöhnlichen Postkutsche fuhr, war ein einfacher Bürger, der aber sicher einen gut bezahlten Posten inne hatte. Nun gab es in Carlsbad für jedes Jahr eine penibel geführte Liste der Kurgäste, die als Buch veröffentlicht wurde (1). Darin finden sich für den Jahrgang 1850 nur wenige Gäste aus Leipzig, einer davon ist ganz sicher mit der Postkutsche gefahren. Er hieß Carl Friedrich August Wagner und war vom Beruf Kunstgärtner. Er hat sich am Freitag den 9. August in die Liste der Kurgäste eingetragen. Wer war dieser Mann? Auskunft gibt das Leipziger Adressbuch von 1848. Darin steht als Adresse des Herrn Wagner "Milchinsel". So hieß damals ein kleiner Stadtteil am Marienplatz, nördlich der Egelstraße. Zur Milchinsel gehörte ein gleichnamiges, sehr beliebtes Ausflugslokal und die Villa des Carl Lampe, eines deutschen Unternehmers, Kunstmäzens und späteren Eisenbahnpioniers. Die Villa war umgeben von einem großen Garten, für den offenbar unser Kunstgärtner zuständig war. Dieser Garten wurde auch „Egelspfuhlgarten“ genannt, denn auf dem Anwesen wurden im 16. Jh. Blutegel gezüchtet, woran heute noch die Egelstraße erinnert. Der Garten wurde sechs Jahre zuvor verkleinert, denn es wurde die damalige Marienstraße (heute Chopinstraße) gebaut. Vielleicht hatte Carl Friedrich August deshalb Zeit um zur Kur zu fahren.

Damit wäre unser Reisender auf dem Weg nach Karlsbad identifiziert. Der Tag seiner Abreise von Leipzig ist Dienstag der 6. August 1850.

Abfahrt in Leipzig

Leipzig aus der Vogelschau 1850 Quelle: Wikipedia
Leipzig aus der Vogelschau 1850 Quelle: Wikipedia

Wie stark sich Leipzig verändert hat, ist auf dem Bild sehr gut zu erkennen. Die Stadtmauern, um die Innenstadt in der Mitte des Bildes, sind verschwunden. Das Gelände wurde eingeebnet und Esplanade genannt. Aus der Stadt heraus führt die Grimmaische Straße nach Süden auf den neuen Augustusplatz, benannt nach Friedrich August, dem ersten König von Sachsen. Das Grimmaische Tor gibt es nicht mehr. Auf der linken Seite des Platzes ist die Universität, die Paulinerkirche und das Cafe Francais zu erkennen. Die Straße zur Johanniskirche, am unteren Bildrand, war damals die Dresdner Straße. Auf ihr rollten die Postkutschen nach Dresden, aber seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch nach Chemnitz. Grund für die Verlegung der Chemnitzer Postlinie waren die häufigen Hochwasser der Pleiße. In Probstheida trennten sich dann die Postrouten. 

Rechts im Bild sieht man den Dresdner und den Magdeburger Bahnhof, die vor 1850 erbaut wurden.

Abschied von Leipzig

Zill's Tunnel vor dem Abriss und Neubau 1885 Quelle Wikipedia
Zill's Tunnel vor dem Abriss und Neubau 1885 Quelle Wikipedia

Aber lassen wir zunächst unseren Kunstgärtner, vor Beginn der strapaziösen Kutschfahrt noch einmal in der alten Innenstadt einkehren. Auerbachs Hof ist jedoch geschlossen, er wird gerade durch seinen neuen Besitzer Hermann Schultze aufwändig restauriert und wird erst in einem Monat neu eröffnet. Wie wäre es also mit Zill's Tunnel, der hat seinen Umbau schon hinter sich. Sein Besitzer Johann Gottfried Zill hatte 1841 den Biertunnel übernommen. Hier konnte sich unser Fahrgast nach der Abgabe seines Gepäcks noch auf ein Bier niederlassen. Natürlich gab es auch eine Kleinigkeit zu essen. Die Originalspeisekarte konnte er sich vorsingen lassen, denn der Komponist Carl Friedrich Zöllner hatte sie unter dem Titel "Der Speisezettel" vertont:

"Marqueur!" - "Mein Herr!" - "Was gibt's für heut?"

"Fricassé von Kalbfleisch,

Blumenkohl mit Rindfleisch,

Sauerkraut mit Schweinefleisch,

Schöpsenfleisch mit Welschkraut,

Bratwurst, Omeletten, Beefsteak,

Coteletten, angeschlagnen Kälberstoß,

schöngefüllte Taube,

Schinken mit Kartoffelkloß

Lerchen und Ragout,

Krautsalat mit Karpfen,

Allerlei mit Henne,

frische Macaroni,

rohen Schinken, Cervelatwurst,

marinierten Hering, Lachs mit Remouladensauce,

Nierenbraten, Enten, junge Hühner,

eingemachte Pflaumen, Preiselbeeren, Aepfel, Sellerie.

Hinterher: Butterbrod, Schweizerkäs'!

Portion: fünf Grosch'n gut Geld.

Wünsche wohl zu speisen."

Eine "Leipziger Lerche" nach 1876 vom Bäcker
Eine "Leipziger Lerche" nach 1876 vom Bäcker

Als kleiner Happen, bot sich also eine Lerche an. Sie gab es damals überall, nur nicht beim Bäcker. Leipziger Lerchen waren bis 1876, als der Vogelfang verboten wurde, wirklich Singvögel, also Feldlerchen, die sich insbesondere von Feldknoblauch ernähren und dadurch besonders gut schmeckten. Die Lerchen wurden im Ganzen gebraten, mit einem Faden dressiert und mit Kräutern und Eiern gebacken, lediglich der Magen wurde vorher entfernt. Heute erinnern die kreuzförmigen Teigstreifen an den Faden mit dem die Vögel beim Braten zusammengehalten wurden. Mitunter wurden sie auch als Pastete zubereitet. Ebenfalls üblich war es, die Eingeweide der Lerchen klein zu hacken, zu würzen und diese Masse auf Weißbrot zu essen. 

Reichte dem Herrn Wagner für einen derartigen Leckerbissen die Zeit bis zur Abfahrt der Postkutsche um 8 Uhr abends nicht aus, konnte er sich auch einige Lerchen als Wegzehrung mitnehmen. Von Lerchenfrauen wurden die Vögel sofort nach dem Fang gerupft, einzeln in Papier gewickelt und in Spezialkisten verpackt. Guten Appetit! Aber nun auf zum Augustusplatz, denn dort ging die Post ab.

Das neue Postgebäude von Leipzig Quelle: Wikipedia
Das neue Postgebäude von Leipzig Quelle: Wikipedia

Auf dem Augustusplatz, zwischen der Poststraße und der Dresdener Straße wurde 1838 das klassizistische „Neue Postgebäude“ errichtet. Das Gebäude war bis 1867 Sitz der wichtigsten Oberpostdirektion des Königreiches Sachsen. Eine Reise mit der Postkutsche erforderte viel Zeit und Geduld. Wer an einem bestimmten Tage abreisen wollte, sollte sich beizeiten einen Platz sichern. Dazu musste er sich beim Postmeister anmelden. Von diesem bekam er nach Eintragung seiner Personalien einen Reiseschein, auf dem der Tag und die Stunde der Abfahrt vermerkt war. Für den Fahrtbeginn gab es weiter Regeln. Jeder Postreisende hatte auf den kursächsischen Postlinien die Berechtigung, bis 30 Pfund Reisegepäck frei mitzunehmen; es war aber, mit Absender und Zielort versehen, mindestens eine halbe Stunde vor Abgang der Post einzuliefern. Hatte man kein Gepäck musste man eine viertel Stunde vor Fahrtbeginn eintreffen. Kam er etwa zu spät, so wurde ihm das Fahrgeld keinesfalls zurückgegeben. Bei der Ankunft der Postkutsche wies ihm der Postmeister einen Sitzplatz an, der für die ganze Fahrt einzuhalten war (2).

Nun noch einen Blick auf den Fahrplan des ersten Reiseabschnitts von Leipzig nach Annaberg (3). Dort musste umgestiegen werden um nach Karlsbad weiterzureisen. 

Station Abfahrtszeit
Leipzig 20.00 Uhr
Gruna 21.20 Uhr
Borna 22.50 Uhr
Frohburg 24.00 Uhr
Penig 2.25 Uhr
Hartmannsdorf 3.50 Uhr
Chemnitz  5.05 Uhr
Gelenau 8.25 Uhr
Thum 8.55 Uhr
Ehrenfriedersdorf 9.35 Uhr
Annaberg 11.05 Uhr

Zur Station Gruna

Kartenausschnitt von 1864 Quelle: Deutsche Fotothek
Kartenausschnitt von 1864 Quelle: Deutsche Fotothek

Sucht man auf einer aktuellen Karte nach Gruna findet man nichts. Erst eine Suche im Online-Lexikon Wikipedia bringt Licht ins Dunkel. Gruna war ein Ortsteil von Magdeborn, einem Ort der Erinnerungen weckt. Hier ging zu DDR-Zeiten die Fernverkehrsstraße 95 von Leipzig nach Chemnitz entlang. Bis der Ort 1977 für den Braunkohleabbau geopfert wurde. 

Auf der nebenstehenden Karte der Umgebung von Leipzig aus dem Jahre 1860 findet man Gruna in der Mitte unten als selbständigen Ort. Die Poststraße führte damals von Probstheida über Wachau nach Gruna und danach weiter über Espenhain nach Borna. In einem Reisetaschenbuch von 1834 heißt es "Die schöne neue Kunststraße bis Probstheida mit der nach Grimma vereinigt, führt über den westlichen Teil des berühmten Schlachtfeldes an Wachau, Auenhagen vorbei nach Magdeborn, wobei Güldengossa links liegen bleibt" (4). Als Chausseen bzw. auf deutsch Kunststraßen bezeichnete man gut ausgebaute, mit fester Fahrbahndecke versehene Landstraßen. Es hatte sich folglich am Fahrkomfort einiges verbessert. 

Der Gasthof Gruna etwas später als 1850
Der Gasthof Gruna etwas später als 1850

In Gruna stand eine Postmeilensäule und ein Gasthof, der als Anlaufpunkt der Postkutschen diente. Hier wurde nach einer Stunde und 20 Minuten die erste Rast eingelegt. Das galt natürlich nur bei günstigen Bedingungen. Die Pünktlichkeit ließ bei Sturm, Regen oder Schnee natürlich nach, wobei die neue Chaussee mehr Sicherheit brachte.

Heute liegt Gruna auf dem Grund des Störmthaler See's …

 

Die Stadt Borna

Borna 1840 Quelle: Deusche Fotothek
Borna 1840 Quelle: Deusche Fotothek

Um 22 Uhr 50 erreicht unsere Postkutsche planmäßig die große Stadt Borna. Hier hat der Kreishauptmann des Leipziger Kreises seinen Sitz. Zur Zeit der Postkutschfahrt von 1750 hatte Borna noch eine Stadtmauer mit mehreren Toren, was für ihre Bedeutung sprach. 1850 gab es von den Befestigungen nur noch das Reichsthor, in der Abbildung oben rechts. Ob die Straße in der Mitte die Poststraße von Leipzig ist, kann nicht ausgeschlossen werden. Sie führt auf jeden Fall zum Reichsthor. Die Poststation (unten rechts) lag in der Vorstadt. Näheres zu Borna findet sich im Reisetaschenbuch von 1834:

"Borna liegt umgeben von einer schönen fruchtbaren Landschaft an dem kleinen Flusse Wienra. Von aussen und innen hat diese Stadt ein alterndes Ansehen, aber einen geräumigen Marktplatz und einige breite Straßen. Man zählt im Ganzen 400 Häuser und nicht ganz 3000 Bewohner"… "Unter den Einwohnern sind viele Töpfer, Hutmacher und Zeugweber, andere sind in den Steinbrüchen, Tongruben und im nahen Braunkohlenlager beschäftigt. Die Post ist in der Vorstadt. Gasthöfe: der Hecht und der Stern, auch vor der Stadt am Chaussee-Hause ist ein gutes Wirtshaus. Hier zweigt sich eine nach Altenburg führende Straße von der unsrigen ab". (4)

Station Frohburg

Zur Weiterfahrt von Borna beschreibt das schon zitierte Reisetaschenbuch:

"Durch das freundliche Dorf Zedtlitz und Neukirchen, wo in der sehenswerten Fabrik der Bachschen Erben vortreffliche Perlenmutter-Mosaik und die sogenannten Altenburger Dosen von Papiermache verfertigt werden, rechts lassend, kommen wir in das Städtchen Frohburg" (4).

Als unsere Postkutsche Frohburg um Mitternacht erreicht, ist natürlich nicht viel zu sehen. Am Tage bot sich den Reisenden aus Richtung Leipzig das untenstehende Bild. Links ist das markante Schloss zu erkennen und rechts die Kirche St. Michaelis kennzeichnet den Marktplatz auf dem sich damals die sogenannte Postexpedition befand. Heute würde man Postagentur dazu sagen. Die Frohburger Postmeilensäule stand damals ebenfalls auf dem Marktplatz.

Frohburg auf einer Lithographie um 1850
Frohburg auf einer Lithographie um 1850
Der Frohburger Marktplatz etwas später auf einer Ansichtskarte
Der Frohburger Marktplatz etwas später auf einer Ansichtskarte

Zur Stadt um das Jahr 1850 kann man nachlesen:

"Die Stadt Frohburg, mit einem der bedeutendsten Rittergüter Sachsens, liegt an dem Flüsschen Wyhra, an der hohen Straße von Chemnitz nach Leipzig, in einer höchst angenehmen und fruchtbaren Gegend, zwei Stunden südlich von Borna. Der Ort zählt in 336 Häusern etwa 2.800 Einwohner, die sich hauptsächlich von Zeug- und Leineweberei, Töpferei und etwas Feldbau ernähren. Die hübsche reinliche, größtenteils gepflasterte Stadt hat sehr ansehnliche Bürgerhäuser, einen schönen großen Markt, woran zwei treffliche Gasthöfe die Post und Apotheke gelegen sind, und jährlich zwei sehr besuchte Märkte deren jedem Freitags vorher ein Ross- und Viehmarkt vorangeht" (5).

Schloss Frohburg um 1860 Quelle: (5)
Schloss Frohburg um 1860 Quelle: (5)

Der Name Frohburg soll, bösen Zungen zufolge, daher stammen, dass fremde Kaufleute die mit ihren reich beladenen Wagen zum Jahrmarkt fuhren von Wegelagerern und Raubrittern oft in blutige Kämpfe verwickelt wurden. Weil sie froh waren das sichere Schloss erreicht zu haben, nannten sie die Stadt Frohburg. Das ist jedoch nur eine Sage und stimmt so nicht.

 

Die Station Penig

Penig um 1850 vom Alt-Peniger Ufer aus mit der Muldenbrücke und Stadtkirche
Penig um 1850 vom Alt-Peniger Ufer aus mit der Muldenbrücke und Stadtkirche

In meinen eigenen Erinnerungen an die Fahrt von Leipzig nach Chemnitz mit dem Auto auf der Bundesstraße 95 kam Penig nicht vor, denn es gab eine Umgehungsstraße, die vor dem Abzeig Penig schon sehr bergig war und im Winter gab es oft Probleme auf den verschneiten Straßen. 

Im Jahre 1850 fuhr die Postkutsche natürlich direkt durch die kleine Stadt.  Im schon zitierten Reisetaschenbuch heißt es: "Penig ist eine wohlgebaute Stadt, die dem gräflichen Hause Schönburg gehörige Stadt, sie zählte 1830 in 250 Häusern 2600 Einwohner. Die Mulde bespühlt ihre West- und Nordseite und setzt dann im wild romantischen Thale ihren Lauf fort. Die Stadt hat drei Vorstädte, welche Alt-Penig, der Topfanger und die Mühlengasse heißen und ein Schloß mit einem Parke und ein Weisenhaus" (4).

Unsere Kutsche kam über die Leipziger Straße zunächst in Alt-Penig an und musste über die Muldenbrücke. Unmittelbar danach befand sich einst das Muldentor und davor auf der rechten Seite, auf dem letzten Brückenpfeiler, stand die Postmeilensäule. Traut man der colorieren Lithographie von 1850, sind auch in Penig die Stadtmauern und Tore verschwunden. Von der Postmeilensäule ist auch nichts mehr zu sehen.

Es war nachts halb drei aber unser Kutscher hatte Glück - in Penig gab es seit 3 Jahren eine, von der ortsansässigen Papierfabrik gesponserte,  Stadtbeleuchtung. Er bog hinter der Brücke nach links ab, denn das Postgebäude befand sich gleich hinter dem Markt, auf den Schloßplatz 1, vor dem neuen Schloß. Der Aufenthalt war nachts sicher nur kurz und es ging weiter zum Topfanger und dann die Chemnitzer Straße entlang.

Von Penig über Hartmannsdorf nach Chemnitz

Quittung für das Chausseegeld
Quittung für das Chausseegeld

Von Penig nach Chemnitz verlief 1850 eine 2 Meilen (18,2 km) lange Kunststraße nach Chemnitz. Was ist eine Kunststraße? Nach Johann Christoph Adelung ist eine Chaussee, wie die Kunststraße auch genannt wird  „ein durch Kunst gemachter erhöheter Weg von Kieß oder zerschlagenen Steinen, wodurch sich ein solcher Weg von einem Damme unterscheidet, welcher mit Steinen gepflastert wird“. Während der französischen Besetzung (1807 - 1813) wurden die bedeutenden Landstraßen nach französischen Vorbild ausgebaut. Die alten Landstraßen erhielten eine feste Fahrbahndecke und der Verlauf wurde begradigt. Neben dem Belag zeichnet sich eine Chaussee durch ein ausgebautes Entwässerungssystem aus. Die durchlässige Tragschicht und die leichte Wölbung der Fahrbahndecke diente der Entwässerung, für die oft ein Chausseegraben angelegt wurde. Auch Alleebäume wurden neben der Straße angepflanzt. Auf solchen Straßen kam man natürlich viel schneller voran. Allerdings gab es auch neue Hindernisse.  Im Abstand von jeweils etwa einer Kursächsischen Postmeile wurden Chausseehäuser mit Schlagbäumen errichtet, an denen Fuhrleute Chausseegeld zur Wartung und zum Unterhalt entrichten mussten.

Schloß Chemnitz auf einer Karte
Schloß Chemnitz auf einer Karte

Auch unsere Postkutsche fuhr auf so einer neuen Chaussee von Penig über Mühlau, das sehr romantisch in einem Seitental der Mulde lag, nach Hartmannsdorf. 

Am damaligen Ortseingang befand sich die Postmeilensäule, heute an der Einmündung der Geschwister-Scholl-Str. vor der Sparkasse. Eine Poststation bekam Hartmannsdorf erst 1872 und wo der Zwischenstopp um 3.50 Uhr stattfand ist unklar. Allerdings hatte Hartmannstorf ein Chausseehaus, gegenüber dem heutigen Brauhaus. Vielleicht hielt dort die Postkutsche. Dann ging es den Hartmannsdorfer Berg hinauf, auf dem sich eine Ausspanne befand, um die Pferde zu wechseln bzw. ihnen eine Verschnaufpause zu gönnen.

Ankunft in Chemnitz

Ansicht von Chemnitz gegen Mitternacht 1850
Ansicht von Chemnitz gegen Mitternacht 1850

Morgens halb 6 Uhr tauchte die Stadt Chemnitz auf. Das Chemnitzer Panorama auf einem Kupferstich von 1850 zeigt links die Schoßkirche, die unsere Reisenden nur aus der Ferne sahen. Die Schloßkirche war 1850 eher eine Ruine und einsturz gefährdet. Nachdem das Schoß Chemnitz dem französischen Heer als Unterkunft gedient hatte, waren viele Gebäude eingestürzt. Die Abbildung ist also eher unrealistisch, zeigt aber die Kirche mit dem kleinen Turm vor dem umfassenden Umbau von 1864 bis 1875. Die Fahrt verlief rechts am Schloßteich vorbei zum Küchwald auf der Leipziger Straße entlang bis zum nächsten Chausseehaus an der Einmündung der Bergstraße. Sie bog dann nach links ab in die heutige Hartmannstraße, benannt nach Richard Hartmann, dem Gründer der Sächsischen Maschinenfabrik, an der die Kutsche vorbeifuhr.

Chemnitz aus der Vogelperspektive von 1874
Chemnitz aus der Vogelperspektive von 1874

Im Bild links sind die Schornsteine der Sächsische Machinenfabrik zu sehen. Hier wurden seit zwei Jahren Lokomotiven gebaut und die Fahrgäste bekamen einen Eindruck von der Industriellen Revolution, die auch das Ende der Postkutschenära einläutete. Über die kleine Brücke im Bild rechts davon fuhr die Kutsche weiter zur Äußeren Klosterstraße und überquerte die Theaterstraße. Sie bildete einen Ring der dem Verlauf der inzwischen geschliffenen Stadtmauer entsprach. Danach ging es die Innere Klosterstraße entlang zum Markt. Von dort rollte die Kutsche über den Holz- und Rossmarkt nach links in die Nicolaistraße. Am Ende auf der linken Seite im Eckhaus Nicolaistraße 1 befand sich 1850 das königliche Posthaus. Dort wohnte und residierte  der Post-Commissar Ernst Friedrich Lippe. 

In der Chemnitzer Poststation

Postbeamte in der Poststube 1852
Postbeamte in der Poststube 1852

Wie verlief nun der Zwischenstopp in Chemnitz? Als die Postkutsche am frühen Morgen um 5 Uhr eintraf wird vermutlich nicht der Postmeister persönlich die Reisenden begrüßt haben. Außerdem waren schon neue Passagiere eine Stunde früher da um ihr Gepäck bereitzustellen. Für das Gepäck war der Packmeister Ernst August Bauer oder sein Assistent Friedrich Haase, die beide praktischer weise gleich im Posthaus Nicolaistr. 1 wohnten, zuständig. Für die Wartenden gab es eine Passagierstube, die von den Knüpfers betreut wurde. Herr Knüpfer war eigentlich Landbriefträger, aber auch Hausmeister im Posthaus. Seine Frau war Wirtschafterin der Passagierstube in der auch Speisen und Getränke serviert wurden. Dazu gab es auch zwei Aufwärter (Kellner), die Herren Schlegel und Schlesinger, die aber nicht im Posthause wohnten und sicher so früh am Morgen noch nicht da waren, zumal sie auch als Briefträger arbeiteten. Wer konkret unsere Postkutsche begrüßte, ist schwer zu sagen, vermutlich einer der Packmeister.

Alle aufgeführten Personen sind authentisch und stammen aus dem Chemnitzer Adressbuch von 1850 (6).


Weiter geht es im 2. Teil der Postkutschfahrt von Chemnitz nach Annaberg.


Quellen

(1) Liste der angekommenen und abgereisten Curgäste in Carlsbad im Jahre 1850, Verlag der Gebr. Franieck

(2) Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 9/1933 Von den Postverbindungen der Stadt Annaberg um 1840, Dipl. oec. Adalbert Zehrer

(3) Post-Coursbuch für den Königlich Sächsischen Postbezirk, Leipzig 1852

(4) Reisetaschenbuch oder statist.-histor. Wegweiser, L. Freiherr von Zedlitz, Leipzig 1834

(5) Album der Rittergüter und Schlösser des Königreichs Sachsen, Leipziger Kreis, F. Heise, 1860

(6) Adressbuch der Fabrik- und Handelsstadt Chemnitz, Moritz Böhme, Chemnitz 1850