Die Türkensteuer in Kemtau

Sicher hat der Eine oder Andere den Begriff "Türkensteuer" (korrekt Reichstürkenhilfe) im Zusammenhang mit den Türkenkriegen und der Belagerung von Wien schon einmal gehört oder gelesen. Was hat das aber mit Kemtau zu tun und was kann ein Historiker oder Chronist für Rückschlüsse daraus ziehen? Darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Historischer Hintergrund

Suleiman der Prächtige Quelle: Wikipedia
Suleiman der Prächtige Quelle: Wikipedia

Die Konflikte mit dem Osmanischen Reich begannen nach der Eroberung Konstantinopels (dem heutigen Istambul) im Jahre 1453. In Folge dessen rückten die türkischen Heere immer weiter Richtung westen vor und bedrohten die europäischen Herrscher des Heiligen Römischen Reiches. Kaiser Friedrich III. sah sich gezwungen Truppen zu mobilisieren und benötigte dazu Geldmittel. Eine neue Steuer, die Reichstürkenhilfe, wurde zunächst auf den Reichstagen in Frankfurt, Regensburg und Nürnberg beschlossen. Anfang des 16. Jahrhunderts drangen die Türken unter ihrem neuen Anführer Sultan Süleyman I., genannt "der Prächtige", nach Ungarn vor. Sein eigentliches Ziel war jedoch Österreich.

Eroberungen des Osmanischen Reiches
Eroberungen des Osmanischen Reiches

Nach der Eroberung Ungarns begann der erste österreichische Türkenkrieg. Er begann 1526/27 und endete mit der ersten Belagerung von Wien, die zwar nicht zum Erfolg führte, aber Angst und Schrecken hinterließ. Weitere Türkenkriege folgten während Suleimans Regentschaft. 

Erste Steuerliste von Kemtau von 1501

Die "Türkensteuer", wie man die Reichstürkenhilfe salopp nannte, wurde auch in Sachsen erhoben. So kamen die sächsischen Steuereintreiber zum ersten Mal nachweislich schon 1501 ins Erzgebirge und auch nach Kemtau. Für jedes Dorf wurde eine Steuerliste erstellt, die eine ganz besondere Quelle darstellt, denn zum allerestenmal wurden Namen von Personen genannt. Überschrieben mit dem Text: "Register der dörfer und leute zum Scharffensteyn zugehörig …" folgt auf Seite 91 der Ort Kempnat (4). Darin wurden die damaligen Besitzer der Kemtauer Bauerngüter namentlich benannt:

 

Bartel Kreußingk, Hans Kreußyngk, Hans Erhardt, Hans Lyndener, Nickel Kreußingk, Peter Conradt, der richter, Oßbalt Lyndener, Hans Cuntze

 

Die Steuerliste enthielt keine Steuerbeträge, was darauf schließen lässt, dass alle Genannten die gleiche Steuerlast trugen.

Interessant ist die Reihenfolge der Güter in der Liste von 1501. So steht in der ersten Zeile das heutige Felsengut (später Nr. 4). Ist eigentlich verständlich, denn die Zufahrtswege von Dittersdorf/Weißbach und aus der anderen Richtung von Burkhardtsdorf trafen sich genau vor diesem Hof und die Aufzählung begann somit hier und verlief weiter im Uhrzeigersinn. Die Hausnummerierung beginnend beim Gut des Richters mit der 1 und weiter im Uhrzeigersinn bis 9 kam erst später auf, ist aber ab 1529 nachgewiesen, worüber an anderer Stelle zu berichten ist.

 

Die aufgeführten Namen geben einige Rätsel auf. Es gab allerdings schon die heute bekannten 9 Bauerngüter im Kemtauer Oberdorf. Einige Namen sind bekannt, die Kreußingk's und auch ein Cuntze zum Beispiel, andere z.B. die Lyndeners gab es später nicht mehr. Ob sich hinter dem "richter" schon Peter Puschmann, der erste bekannte Dorfrichter, verbarg, ist unbekannt. Völlig im Dunkel der Geschichte ist die Entstehung der Siedlung Kemtau und deren Bewohner vor und nach der urkundlichen Ersterwähnung im Jahre 1439. 

Auswertung einer Steuerliste für Kemtau im Jahre 1561

Die Reichstürkenhilfe wurde in Sachsen sowohl in den Städten als auch Dörfern erhoben und in Steuerlisten erfasst. Die Berechnungsgrundlagen unterschieden sich natürlich zwischen Stadt und Land. In den Dörfern wurden die Bauerngüter besteuert, Rittergüter dagegen nicht. Diese mussten ohnehin schon  Menschen, Tiere und Material für die Türkenkriege bereitstellen und waren, wie auch die Kommunalen- und geistlichen Güter, von der Zahlung befreit.

Reichstürkensteuer für Kemtau 1561
Reichstürkensteuer für Kemtau 1561

Steuerlisten der erfassten Reichstürkenhilfe finden sich in zahlreicher Anzahl in den Archiven der  heutigen Bundesländer. In vielen Fällen erlauben sie den Ortschronisten Angaben zur Gründung von Siedlungen und den Einwohnerzahlen. Die nebenstehende Abbildung zeigt eine solche Steuerliste aus dem Jahre 1561 für das "Gericht und Dorff Kempnat", wie in der Überschrift zu lesen ist. Kempnat ist der damalige Name für Kemtau. Die 9 Zeilen der Tabelle beziehen sich auf die neun Bauernhöfe im Kemtauer Oberdorf. In der mittleren Spalte erkennt man die Namen der Gutsbesitzer, wobei die Schreibweise der Namen dem Steuerschreiber überlassen war. 

Die linke und rechte Spalte sieht auf den ersten Blick sehr mysteriös aus. Da es sich um eine Steuerliste handelt, ist es naheliegend, dass es sich um Zahlen mit dahinter folgenden Einheiten handelt. Die Zahlen erinnern an das römische Zahlensystem, jedoch in Kleinschreibung und nicht in der heute üblichen Darstellung. Zum Beispiel wird die Ziffer 4 als iiij dargestellt und nicht als IV, wie wir es von alten Uhren gewohnt sind.

Am Ende wird schließlich die Spaltensumme gebildet und die Unterschrift des Schreibers beendet das Dokument.

Inhalt und Übersetzung der Tabelle

Die linke Spalte enthält eine steuerliche Bewertung des Bauerngutes in der über Jahrhunderte gültigen Einheit Steuer-Schock, die eine Bemessungsgrundlage landwirtschaftlicher Steuern darstellte. Für einen Gutshof erfolgte die Berechnung aus der Größe des bewirtschafteten Landes. Zu beachten ist hierbei, dass nach den Regeln der Dreifelderwirtschaft, jeweils ein Drittel der Felder brach lag. Ob diese Brachen mit in die Berechnung eingingen, war regional unterschiedlich. Für die betrachtete Kemtauer Steuerliste wurde auch das Brachland mit einbezogen.

Die rechte Spalte enthält die fällige Steuer in Groschen und Pfennigen. Die Währung war der Taler (1 Taler = 21 Groschen; 1 Groschen = 12 Pfennig). Pro Steuer-Schock wurden 2 Pfennig berechnet.

Steuer-Schock Eigentümer Groschen Pfennig Nr.
xc (90) Georg Puschman xv (15)   1
lx (60) Steffan Weiße x (10)   2
xl (40) Georg Kunz vj (6) viij (8) 3
lxx (70) Brosius Kreußingk xj (11) viij (8) 4
xxxv (35) Steffan Grebner v (5) x (10) 5
xxii (22) Hans Kuntze iij (3) viij (8) 6
xx (20) die Michel Seyfhartin iij (3) iiij (4) 7
xxv (25) Nickel Kreußingk iiij (4) ij (2) 8
xxvj (26) Nickel Kuntz iiij (4) iiij (4) 9

Summiert man die linke Spalte, ergeben sich 388 Steuer-Schock. Im Dokument dargestellt als iij c (300)  lxxxviij (88). Die Summen der rechten Spalte 61 Groschen und 44 Pfennige umgerechnet in Taler ergibt exakt die angegebene Steuersumme iij (3 Taler) i (1 Groschen) viij (8 Pfennige).

Sächsischer Silbertaler um 1550
Sächsischer Silbertaler um 1550

Glaubt man historischen Quellen (3) zu Kaufkraft und Lebenshaltungskosten in der Mitte des 16. Jahrhunderts, sind die Einnahmen aus der Türkensteuer eher gering. Ein Krug Milch kostete 3 Pfennig, das Pfund Butter 8 Pfennig, ein Schock Eier (60 Stück) 2 - 5 Groschen, ein Eimer Landwein 12 Groschen und ein Tageslöhner verdiente 3 Groschen am Tag. Da ist fraglich, ob sich die Aussendung eines Steuereintreibers nach Kemtau für 3 Taler 1 Groschen und 8 Pfennig Einnahmen im Jahr gelohnt hat.

Bei den Eigentümern fällt die Zeile 7 auf. Michel Seyfhart ist offenbar verstorben und seine Witwe hat das Gut übernommen. Ihr Vorname wird jedoch nicht genannt, sie ist nur "die Michel Seyfhartin".

Die Reihenfolge der Auflistung entspricht den alten Hausnummern der ersten Bauerngüter Kemtau's. Interessant ist die Bewertung der einzelnen Güter. Ursprünglich waren die ersten beiden Güter gleich groß, nun ist das Gut des Georg Puschman mit Abstand das Größte. Er ist jedoch Besitzer des Lehngutes und zugleich Lehnrichter, als sozusagen der Dorfvorsteher. Das zweite Gut, gehörte später Georg Uhlich und hatte sich nicht so rasant entwickelt. Die beiden weiteren großen Güter waren das Felsengut und das Uhliggut. Vermutlich wurden die florierenden Bauerngüter durch Rodung des angrenzenden Waldes erweitert. Möglicherweise gab es auch Landverkäufe in schwierigen Zeiten an die zahlungskräftigen Gutsbesitzer.

In Sachsen fand die Türkensteuer ihr Ende im Jahre 1565. Sie wurde auf das 4-fache erhöht und ging in die Landsteuer ein. Ein Jahr später endete die Herrschaft von Suleiman den I. und die Türkenkriege auf europäischen Gebiet waren vorerst vorbei.


Danksagung

Nun möchte ich Herrn Marc Zschäckel meinen Dank aussprechen, der mir die Kopie der Steuerliste, zusammen mit ersten Informationen dazu, überlassen hat. 

Ebenso möchte ich mich bei Herrn Roland Kunick bedanken, für die Klärung meiner offenen Fragen zum Inhalt der Liste. Seine umfassenden Kenntnisse vom Kemtauer Oberdorf haben wesentlich zum Gelingen dieser Ausarbeitung beigetragen.

Quellen

(1) Steuerliste von 1561 für Kemtau aus: HStA Dresden Landsteuerregister Nr. 444

(2) Deutsches Rechtswörterbuch: Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, herausgegeben von Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 2019

(3) Das Finanzwesen des Ernestinischen Hauses Sachsen im sechszehnten Jahrhundert, Dr. Otto Kius, 1863

(4) HStA Dresden, Loc.10505/10 Band 3 S. 91 Türkensteuer 1501