Zwei Kemtauer marschieren gen Russland

Diese Geschichte spielte sich um das Jahr 1812 bei Napoleons Russland Feldzug ab und begann drei Jahre zuvor im Lehngericht von Kemtau. Ausgangspunkt dieser Geschichte ist die folgende Anzeige:

Leipziger Zeitung vom 14. Juni 1830
Leipziger Zeitung vom 14. Juni 1830

Lehngericht Kemtau am 22. Februar 1809

Als an diesem Tage der Schuhmacher und Hausbesitzer Karl Gottlieb Erth im Kemtauer Lehngut einen Pachtvertrag mit dem Herrn Lehnrichter Johann Adolph Wieland persönlich über den sogenannten Wolfsgarten, der sich auf einem Flurstück gleich neben seinem Haus befand, abschloss, war auch ein Mann namens Johann August Beckert als Gerichtsschöppe anwesend. Sie hatten eine Gemeinsamkeit, ihre ältesten Söhne waren gleichaltrig und gerade 17 Jahre alt. Die Söhne trugen, wie damals üblich, die Vornamen ihres Vaters. Die Beiden kannten sich zweifellos, denn für sie begann damals ein vielversprechendes Leben im Oberdorf von Kemtau. Doch es sollte anders kommen.

Drei Jahre später befanden sich die beiden jungen Männer auf einem Fußmarsch quer durch Polen auf dem Weg nach Moskau. Sie waren, sicher nicht ganz freiwillig, als "Gemeine" der Königlich Sächsischen Infanterie dem Generalmajor Heinrich Christian von Klengel unterstellt. Die beiden Kemtauer nahmen als Teil von Napoleons Grande Armée am Russlandfeldzug teil, der für die Sachsen Ende März 1812 in einem Feldlager nahe Guben begann.

Der Weg von Guben nach Kobryn

Die Weichsel bei Borek
Die Weichsel bei Borek

Klengels Brigade verließ Sachsen Richtung Polen, das ebenfalls zu Napoleons Verbündeten gehörte, überquerten die Oder und zogen auf Warschau zu. Mitte Mai erreichte sie südlich davon das kleine Dorf Borek am Ufer der Weichsel. Hier bauten die Sachsen in nur 2 Tagen eine Pontonbrücke und wechselten auf das andere Ufer. An der Weichsel entlang ging es nach Norden bis zum Warschauer Stadtteil Praga wo alle Teilnehmer des Feldzuges ein Lager bezogen. Der nächste Aufenthalt fand in Zambrow statt, wo sie bis zum 30. Juni blieben. An diesem Tag "feierte" der Kemtauer Gerichtsschöppe Beckert seinen 21. Geburtstag. Zwei Tage später wurde weiter marschiert, die Narew überquert und in der Stadt Bialystok, wo ein Lazarett errichtet wurde, gerastet. Klengels Truppen wurden nun als Vorhut eingesetzt. Mitte Juli wurde die Russische Grenze überquert und über Slonim nach Kobryn (heute in Belarus) marschiert, wo nach 900 km Fußmarsch das Finale für Generalmajor Klengels Infanterie stattfand.

Die Schlacht um Kobryn

Graf Alexander Petrowitsch Tormassow
Graf Alexander Petrowitsch Tormassow

Am 27. Juli 1812 näherten sich die russischen Streitkräfte dem kleinen Städtchen Kobryn. Aus Süden kam der russische General Tormassow nach Kobryn. Die sächsische Vorhut unter dem Befehl von General Klengel hielt Kobryn besetzt. Kleinere Vorposten waren in Brest, Janow und Pinsk in Stellung gegangen. General Tormassow befahl der Avantgardedivision des Generals Tschaplitz Kobryn von Osten zu umgehen und nur wenig Kavallerie zurückzulassen, um Klengels Truppen zu blockieren, die sich in den Gebäuden am südlichen Stadtrand verschanzt hatten. Nachdem die Russen die sächsischen Vorposten aus den drei Orten vertrieben hatten, griffen am 27. Juli um 6 Uhr morgens die russische Infanterie und Kavallerie die sächsische Brigade an und warfen die Verteidiger nach heftigem Widerstand in die Stadt Kobryn zurück. Bereits zwei Stunden später war die Besatzung vollständig eingeschlossen. Die Sachsen beschränkten sich darauf, die Tore von Kobryn und die Brücken über den Fluss Muchawez zu verteidigen. Kobryn wurde durch die russischen Geschütze in Brand geschossen. Außerdem gingen den sächsischen Verteidigern das Pulver und die Kugeln aus. Bereits um 14 Uhr mussten sie sich den Russen, die mit fünffacher Übermacht angriffen, ergeben.

Von den 2300 Mann der Garnison starben gegen 1000 Mann oder wurden verwundet. General Klengel, drei Obersten und 63 weitere Offiziere gerieten in Gefangenschaft. Vier Fahnen, acht Kanonen und alle persönlichen Ausrüstungen der Sachsen fielen in die Hände der Russen. 

Quelle: Wikipedia

Napoleon skizzierte Korbyn vor der Zerstörung
Napoleon skizzierte Korbyn vor der Zerstörung

Im damaligen Originalbericht hörte sich das ganze Geschehen etwas pathetischer an:

Mit der rühmlichsten Unerschrockenheit und Ausdauer zeichnete sich die, nur aus vierzehn schwachen Kompagnien bestehende sächsische Infanterie und die Artillerie durch die hartnäckigste Gegenwehr aus. Es ward über vier Stunden mit der größten Anstrengung und Erbitterung gefochten. Die Übermacht des Feindes, die Gluth der brennenden Vorstädte, deren hölzerne Häuser der Feind durch sein ununterbrochenes Grenadfeuer in Flammen gesetzt hatte und der eintretende Mangel an Patronen, nötigte endlich diese unverzagte Truppe, nach zweistündiger, tapferer Vertheidigung aller Ausgänge, sich gegen den Markt hin zurückzuziehen.

Die Flammen verbreiteten sich schnell in der, ganz von Holz erbauten Stadt; die brennenden Häuser am Markte nötigten endlich (Nachmittags, drei Uhr) der gänzliche , unersetzliche Mangel an Munition und die immer wachsende Anzahl der Feinde den Generalmajor von Klengel sich, mit den Waffen in der Hand, zu ergeben, nachdem seine wenigen Truppen neun Stunden lang das Aeußerste geleistet hatten. Es blieben an diesem Tage 108 Sachsen auf dem Platze, 13 Offiziere und 165 Mann wurden verwundet.

Die gesamten, sächsischen Offiziere wurden dem russischen Feldherren vorgestellt und erhielten von selbigen ihre Säbel mit der schmeichelhaften Aeußerung zurück, daß so tapferes Benehmen eine solche Auszeichnung verdiene. (gekürzt)

Quelle: Die Feldzüge der Sachsen in den Jahren 1812 und 1813 dargestellt von einem Stabsoffizier des königlich sächsischen Generalstabes, Dresden 1821

Und die Kemtauer Ehrt und Beckert?

Von den beiden Kemtauern fehlte jede Spur, sie gehörten zu den Toten und niemand erfuhr jemals, wo sie verscharrt wurden. 1830 erklärte sie das Adelig Einsiedel'sche Gericht zu Dittersdorf und Weißbach offiziell für tot.


Sag wo die Soldaten sind,

Wo sind sie geblieben?

Sag wo die Soldaten sind,

Was ist geschehen?

Sag wo die Soldaten sind,

Über Gräben weht der Wind

Wann wird man je verstehen?

Wann wird man je verstehen?

Und heute?

Die Geschichte könnte nach 210 Jahren und Millionen toter Soldaten später so, oder so ähnlich, wieder passieren. Marlene Dietrich ahnte es - man wird nie verstehen.