Der Ortsteil Kamerun

Ansichtskarte aus neuerer Zeit
Ansichtskarte aus neuerer Zeit

Der Ortsteil Kamerun liegt etwa zwei Kilometer von Kemtau entfernt im Zwönitztal an einer idyllischen Flußbiegung. Nicht nur der Name ist rätselhaft, auch die Geschichte der Siedlung ist interessant. Der Ortsteil war früher hauptsächlich eine Produktionsstätte und die ältesten Aufzeichnungen stammen aus der "Ersten Kursächsischen Landesaufnahme" des sächsische Lanndvermessers und Kartografen Matthias Oeder um das Jahr 1600, dort ist die Rede von „ein Brettmühl- heißt die Kemeter Mühl". Unter dem Begriff Brett- oder Schneidmühle verstand man damals ein wasserbetriebenes Sägewerk.

Erste Informationen zu den Aumüllern in Zwönitztal

Im ersten Burkhardtsdorfer Kirchenbuch (2) von 1605 - 1664 finden sich zahlreiche Angaben zu den Betreibern der beiden Brettmühlen im Tal zwischen Eibenberg und Kemtau. Die Besitzer werden darin als Aumüller bezeichnet, egal ob es sich um den Standort auf Kemtauer Flur im heutigen Kamerun handelt oder um die heute noch Aumühle genannten Gebäude am Mühlweg auf den Eibenberger Ufer der Zwönitz. So wird 1606 ein Matthäus Möller genannt, der Aumüller ist und dem ein Kind geboren wurde. Weitere Kinder folgen. 1609 folgt ein Eintrag mit seiner Ehefrau Sybilla, am 17.10.1613 wurde dem Aumüller ein weitere Kind geboren. Am 2.4. 1616 ging es um die Kindstaufe für Sybilla, Matthes Müllers Weib in der Aue.

Ab 1621 wird ein Christoph Drechsel Aumüller genannt. 1622 fand eine Taufe mit seiner Frau Magdalena statt. Viele der Einträge sind verwirrend, da sich die Schreibweise der Namen ständig änderten. Unklar sind auch Ortsangaben. 1627 ist Christoph Drechsel plötzlich Müller in Dittersdorf. Hat er aber wirklich eine Mühle in Dittersdorf übernommen oder ist seine Aumühle in Dittersdorfer Verwaltung übergegangen. Genaueres lässt sich heute nicht mehr sagen, da dieses alte Kirchenbuch nicht mehr im Original erhalten ist. Christoph Müller, Toffel genannt, wurde 1632 vom Feind umbracht. Bis 1648 tobte noch der Dreißigjährige Krieg - schlechte Zeiten für Bauern und Müller.

Für das Jahr 1657 findet sich dann ein wichtiger Eintrag zur Mühle im Kirchenbuch:

Sabina Xstell Schuberts Tochter 7 Jahr am 17.6. ertrunken an Hans Kreissigs Gitter z. Kemte rausgezogen, die 34. Person, so im Burkhardtsdorffer Wasser umbkommen.

Die Kreissig's waren nachweislich seit 1501 die Besitzer des Felsengutes im Kemtauer Oberdorf. Hans war der gängige Rufname für Johannes und ein Johannes Kreissig (*1614,†1684) war damals Besitzer des Felsengutes und der Wiesen im Zwönitztal auf Kemtauer Gebiet. Er hatte also die Brettmühle übernommen. Das genannte Gitter befand sich zweifellos am Eingang des Mühlgrabens an dem sich wohl auch ein Übergang zu der zwischen Zwönitz und dem Graben befindlichen Wiese gehörte. Dort wurde Schuberts Tochter angespült.

Die Entwicklung der Brettmühle in Kamerun

Ur-Oeder Karte um 1600
Ur-Oeder Karte um 1600

Die Kemeter Brettmühle lag im Kemeter Wald (s. Karte). Beides gehörte zur Einsiedelschen Herrschaft und befand sich in der Nähe des Dorfes Kemtau. Auch vier der Kemtauer Bauern nutzten die Mühle zum Sägen ihrer Bretter. Dafür mussten sie einen jährlichen „Breth-Mühlen-Zinß“, auch „Michaelis-Kasse“ genannt, zahlen. Um 1700 entrichteten der Richter Hannß Wieland, die Bauern Hannß Kreißig und Paul Röder jeweils 5 Gulden und George Uhlich 2 ½ Gulden. Im Jahr 1774 erbauten der damalige Lehnrichter Johann Christoph Wieland und der Besitzer des Felsengutes Hans Christoph Kreyßig eine neue „Schneidmühle“, die etwas weiter westlich auf Kemtauer Boden entstand. Anzunehmen ist, dass zu dieser Zeit die Kemetermühle nicht mehr in Betrieb war. (Roland Kunick) 

Die Ära der Brettmühlen endete in Kamerun um 1823.

Die Spinnereizeit

1823 erwarb Karl Friedrich Schaarschmidt, ein Spinnereibesitzer aus Dittersdorf, die Schneidmühle für 300 Thaler. Er baute sie zu einem Spinnfabrikgebäude um. Ab da war es „die Spinnmühle“. Schaarschmidt verkaufte die Fabrik an Leopold Michel, der ein Kaufmann und Spinnfabrikbesitzer aus Eibenberg war. Doch schon 1837 wurde das Objekt an einen Kaufmann aus Chemnitz, aus Leipzig stammend, Karl Christian Auerbach, veräußert. Auf dem Grundstück befanden sich zu dieser Zeit ein Spinnereigebäude, ein Wohnhaus und ein Seitengebäude. 6 Jahre bewirtschaftete Auerbach diesen Betrieb. Seine Erben verkauften dieses Anwesen 1843 an Karl August Lohs. Er war Mitglied im Kemtauer Gemeinderat. Zu dieser Zeit gab es in Kamerun eine „Spinnschule“. Der Kinderlehrer war Albani, der auch in der Kemtauer Schule unterrichtete. Er war sehr beliebt. 1847 starb er und Lehrer Graupner wurde als Kinderlehrer eingesetzt. In mehreren Sitzungen des Gemeinderates „kämpfte“ Karl August Lohs darum, dass Graupner die Spinnschule in der gleichen Form weiterführte. Er hatte Erfolg.

1844 brennt es in Kamerun. 1847 ging dann die Spinnfabrik an den Besitzer des „Felsengutes“, Karl Gottlieb Lohs über, der sie dann 1860 an seinen Sohn, Carl Friedrich Lohs, der auch später das väterliche Gut übernahm, verkaufte.

Ab 1864 trat ein ständiger Besitzerwechsel ein. Sicher liefen in dieser Zeit auch viele Spekulationsgeschäfte ab. 1867 brennt es bei Friedrich August Beier in der mit 2000 Spindeln betriebene Spinnerei. Damit endet erst einmal die Spinnereiphase in Kamerun. (3)

Ausführliche Informationen zu den Spinnfabriken findet sich im Beitrag Kameruner Spinnfabrik.

Metallbearbeitung in der Fabrik von den Kempes

Ansichtskarte von Kamerun
Ansichtskarte von Kamerun

1873 kauften die Gebrüder Kempe das Anwesen und es entstand ein Metallbetrieb daraus, offiziell "Kemtauer Fabrik" genannt. Zu dieser Zeit leitete der Volksmund den Namen „Kamerun“ ab, weil die Arbeiter so „schwarz“ aussahen, wenn sie von der Arbeit heimkamen. Eine andere Namenserklärung ist: weil der Ortsteil so weit abgelegen war wie die ehemalige Kolonie Kamerun vom damaligen Deutschen Reich.

Der spätere Besitzer, Louis Kempe, er war ein Monteur und wohnte schon 1872 als Einwohner in Kamerun, übernahm den Betrieb 1875 von seinem Vater. Er leitete ihn bis ca. 1883. Bis Schwalbe & Sohn eine Zweigstelle der Maschinenfabrik von Germania aus Chemnitz errichteten. Nach mehreren Besitzerwechseln endete 1892 die Metallverarbeitungszeit in Kamerun. (3)

Kamerun 1879
Kamerun 1879

Der Kartenausschnitt zeigt die Bebauung von Kamerun um 1879, die roten Zahlen sind die heutigen Hausnummern der Zwönitztaler Straße. Die 35 ist das alte Fabrikgebäude - heute Ruine, Nr. 37 und 39 ist das heutige "Gut Kamerun". Das heutige Wohnhaus Nr. 33 gab es damals noch nicht, es wurde erst 1911 als Wohngebäude der Strumpffabrik Lohs & Schubert gebaut. Auf der Karte ist also ein Vorgängergebäude aus unbekannter Zeit eingezeichnet. Das Haus 35A stand damals schon und dient heute der Firma Drummer-Dächer als Wirtschaftsgebäude. Es könnte zur Zeit des Eisenbahnbaus entstanden sein, genaueres ist nicht bekannt. Die Nr. 33A ist auf jeden Fall ein Bahngebäude, um 1875 entstanden.

Epoche der Strumpffabrikation

Rechts unten die Kameruner Fabrik
Rechts unten die Kameruner Fabrik

1892 richtete die Strumpffabrik Lohs & Schubert in Kamerun ein Zweigwerk der Strumpffabrikation ein, das sich „Lohs und Schubert, Mechanische Strumpfwaren Fabriken Dittersdorf bei Chemnitz, Zweigfabrik Kemtau“ nannte. Damit begann wohl die intensivste industrielle Nutzungsperiode in Kamerun. Vergrößert man die nebenstehende Abbildung, erkennt man, dass die damaligen Häuser mit dem heutigen Gebäudeensemble übereinstimmen. Sie sehen neu erbaut aus d.h. die durch mehrere Brände zerstörten Spinnerei- bzw. Metallverarbeitungsruinen wurden abgerissen und von Lohs & Schubert neu errichtet.

Rechnungskopf von 1936
Rechnungskopf von 1936

Das Dittersdorfer Stammwerk in der Weißbacher Straße 2 entwickelte sich prächtig. In Weißbach wurde eine weitere, größere Produktionstätte errichtet. In dieser Blütezeit wurde in 62 Länder exportiert. Dass ging so weiter bist der 2. Weltkrieg bevorstand. Wie in allen zivilen Fabriken wurde die Produktion eingestellt. So auch im Zweigwerk-Kamerun am 1.7.1938. Von da an standen die Häuser leer und verfielen bis 1945. 

Damit endete auch die Epoche der Strumpfproduktion.


Nach 1945

DDR Idyll in den 1960er Jahren
DDR Idyll in den 1960er Jahren

Zur DDR-Zeit diente das Fabrikgebäude als Stützpunkt einer Maschinen-Ausleih-Station (MAS), später hieß es MTS, Maschinen-Traktoren-Station. Und schließlich nutzte es die LPG „20. Jahrestag der DDR“ als Kälberstall.

 

Von 1951 bis 1960 war ebenfalls die Wagenheberfabrik von E. Arthur Schmidt ansässig.

Nach der Wende - das "Ökogut Kamerun" soll entstehen

Kamerun nach der Wende in den 1990er Jahren aus: (3)
Kamerun nach der Wende in den 1990er Jahren aus: (3)

Ab 1.3.1994 erfolgte dann die Ausgliederung der Wohnsiedlung Kamerun aus der Gemeinde Amtsberg in die Gemeinde Kemtau. 

1996 wollte ein Landwirt aus Niedersachsen einen ökologischen Bauernhof errichten mit Waldklause und Zimmervermietung, mit Bäckerei, Hofcafe, Laden und Wohnungen.

Brand des ehemaligen Kälberstalles 1998 aus: (3)
Brand des ehemaligen Kälberstalles 1998 aus: (3)

Doch dieser Plan ging 1998 in Flammen auf. 2001 wollte der Besitzer eine Wasserkraftanlage zur Stromerzeugung errichten, allerdings ohne Genehmigung. Dazu wurde die Zwönitz angezapft und eine Turbine sollte Strom für den Eigenbedarf und der Überschuss ins Netz eingespeist werden. Schulden und gesundheitliche Probleme zwangen ihn dann 2002 das Projekt aufzugeben. 


Dieser Ortsteil blieb auch nicht von den Hochwassern verschont. Es ist eine ständige Plage. Aber auf alle Fälle bleibt es auf Grund der einmaligen und landschaftlich schönen Lage ein reizvolles Wanderziel.

Die Informationen stammen aus einem umfangreichen Artikel des Burkhardtsdorfer Amtsblatts vom Juli 2010.

Die Entwicklung ab 2010

Oktober 2021
Oktober 2021

Auch heute ist das Gebäude der ehemaligen Strumpffabrik Lohs & Schubert und letztlich der Kälberstall nur noch eine Ruine.

Brand 2010
Brand 2010

Jetzt ist es nur noch eine Wohnsiedlung bei der mit dem Brand im Mai 2010 zwei Wohnhäuser unbrauchbar wurden. 

 

 

August 2014
August 2014

Der Aufbau des 2010 abgebrannten Wohnhauses wurde zwar in Angriff genommen, scheint aber aufgegeben worden zu sein.

Dazu schrieb mir der Eigentümer des Hauses im September 2015:

Am 19.5.2010 brannte das Haus bis auf die Grundmauern nieder. Ursache war laut Brandermittlung Tierfraß an einer elektrischen Leitung, der bereits Wochen vor Ausbruch des Brandes zu verstecktem Schwelbrand in der Dämmung geführt hatte. Die anderen Gebäude blieben unbeschädigt. Korrigieren müssen wir Ihre Meinung, dass der Wiederaufbau des Hauses aufgegeben worden sei - ganz im Gegenteil. Leider mußten wir die uns zustehende Schadensregulierung der Versicherung vor Gericht erstreiten, erst Mitte diesen Jahres bestätigte das Oberlandesgericht Dresden in zweiter Instanz unseren Anspruch. Nun, so hoffen wir, wird in den nächsten Monaten der Bau fertiggestellt werden. Im Haus entstehen 3 Wohnungen, im Erdgeschoß ein Werkstattbereich. Das zweite Wohnhaus war bis zum Jahr 2011 vermietet und wird seitdem von uns selbst genutzt.

Im Jahr 2013 war unser Anwesen stark vom Hochwasser betroffen. Dank der Hilfe vieler Freunde konnten wir die gröbsten Schäden rasch beseitigen.

August 2014
August 2014

Das angrenzende Wohnhaus war im vorigen Jahr noch bewohnt. Heute macht es einen verlassenen Eindruck.

Dieser Eindruck täuscht jedoch!

Dazu der Eigentümer:

Der Eindruck eines „verlassenen Hofes“ mag vielleicht daran liegen, dass die letzten Jahre uns alle Kraft gekostet haben. Hinter dem scheinbar verwahrlosten Haus liegt unser Garten und der Hühnerstall.

Wer mehr dazu wissen möchte kann sich in einem Blog zum Haus informieren. Es gibt also wieder etwas Optimistisches aus Kamerun zu berichten und einen Grund mehr, wieder einmal nach Kamerun zu wandern.


Fünf Jahre später

Kamerun 2019
Kamerun 2019

Wieder gibt es Neuigkeiten aus Kamerun zu berichten. Die Besitzerin des nun fertig gestellten Hauses schrieb mir Folgendes: "... heute möchte ich Ihnen gerne schreiben und berichten, das unser Wohnhaus in Kamerun seit reichlich zwei Jahren wieder von uns bewohnt ist. Wir sind so glücklich, dass nach den langen Jahren Streit mit der Versicherung das Haus fertig gestellt werden konnte und uns wieder Heimat gibt! "

Auch der Werkstattbereich im Erdgeschoss hat eine neue Funktion erhalten: "Ich habe die räumlichen Möglichkeiten genutzt und  mir im Erdgeschoß des Hauses eine Werkstatt für Kunst und Handwerk eingerichtet. Hier fertige ich eigene Produkte an, biete aber gerne auch Besuchern die Möglichkeit, selbst etwas Kreatives zu tun. Kindergeburtstag, Weihnachtsfeier, Teamtag oder einfach nur Auszeit mit Freunden - alles das hat hier Platz und ich begleite das gerne. Ich habe immer offene Werkstatttage, auf Anmeldung gibt es bei mir auch ein Rundumprogramm mit Kaffee, Kuchen oder Grillabend."


Ein Grund mehr, wieder einmal im Ortsteil Kamerun vorbeizuschauen.

Quelle

(1) 550 Jahre dörfliches Leben Kemtau / Eibenberg

(2) Das älteste Kirchenbuch von Burkhardtsdorf 1605-1664 (Abschrift), Pfarrarchiv Burkhardtsdorf

(3) Eine bewegte Geschichte, A. Uhlig, Zwönitztalkurier Juli 2010