Der Gasthof Kemtau - Gelenauer Straße 24

Eine der bekanntesten Gaststätten in Kemtau ist wohl der ehemalige Gasthof in der heutigen Gelenauer Str. 24. Er bildete das Ortszentrum vom Oberdorf Kemtau. Erbaut wurde der Gasthof Kemtau 1840 durch Adolph Ferdinand Wieland, der 1835 das Amt des Lehnrichters von seinem Vater Johann Adolph Wieland erbte. Die Wielands hatten schon 200 Jahre diese Funktion in Kemtau inne. Der Lehnrichter war nicht nur oberster Richter und Ortsvorsteher, im Lehngericht befand sich auch eine Schänke, eine Brauerei und er besaß die Lizenz zum Branntwein brennen. Allerdings war Adolph Ferdinand der letzte der insgesamt 8 Lehnrichter der Wielands. 1839 trat die neue Landgemeindeordnung in Kraft. Lehnrichter gab es nun nicht mehr, sondern einen Gemeinderat, zu dessen Gemeindevorsteher Adolph Ferdinand gewählt wurde. Unter diesem Gesichtspunkt ließ er 1840 auch den Gasthof Kemtau errichten. Ende 1841 verkaufte er das Haus für 1.500 Taler an seine Frau Auguste Friedericke. Vier Jahre lang wurde dort das Bier aus dem ehemaligen Lehngericht ausgeschenkt.

Gasthof "Zum goldenen Anker"

Im Juli 1844 verkauft die Ehefrau des Gemeindevorstehers Wieland den Gasthof mit der Hausnummer 36 an den Kemtauer Strumpfwirker Karl Gottlieb Lohse Junior. Wer der gleichnamige Vater war, ist nicht genau feststellbar. Am wahrscheinlichsten ist der ehemalige Besitzer des Lohsegutes. Damit wäre auch plausibel geklärt, wo das Kaufgeld von 2000 Talern herkam. Zum neu gebauten Gasthof mit Stall und Garten gehörte auch das alte Wohnhaus. Dass der neue Besitzer auch neue Ideen hatte, zeigt dass er erstmals dem Dorfgasthof einen richtigen Namen gab: "Zum goldenen Anker". Aus heutiger Sicht passt der Name eher zu einer Hafenkneipe, im Mittelalter war der Goldene Anker in Bayern und Sachsen weit verbreitet. Im Kaufvertrag findet sich noch eine verbindliche Klausel: "… für sich und seine Nachfolger, das Bier aus der hiesigen Erblehngerichtsbrauerei, so lange als solches gut ist, zu nehmen". Damit waren auch die Wielands weiter am Geschäft beteiligt. Karl Gottlieb Lohse betrieb den Gasthof gerade einmal 2 Jahre. Was ihn zum Weiterverkauf bewegt hat, weiß Niemand. Zur damaligen Zeit waren die Gasthäuser des Erzgebirges für ihre schlechte Küche bekannt. "In kleineren Gasthöfen des Erzgebirges, wird das Fleisch leider oft nur angebraten, damit die Portionen nicht zu klein erscheinen, und mit einer geschmacklosen, hellgelben Sauce aufgetragen. Erzgebirgische Butter ist dafür vorzüglich und die einheimischen Biere zumeist trefflich und bekommen gut" berichteten Reisende. Vielleicht lag es also auch an den "Kochkünsten" eines ehemaligen Strumpfwirkers. Aber das ist nur Spekulation.

Ende Juli 1846 erwarb Karl Adolph Müller für 2400 Taler den Gasthof "Zum goldenen Anker". Er kam aus Tanneberg und war Fleischhauer von Beruf. Er konnte also das Vieh, das auf den Tisch kam selbst schlachten. Der Kaufvertrag beinhaltet zum ersten Mal eine umfangreiche Inventarliste, die Aufschluss gibt, wie der Kemtauer Dorfgasthof Mitte des 19. Jahrhunderts aussah.

Dochtschere aus Messing
Dochtschere aus Messing

Die Gaststube, damals auch Gaststall genannt, hatte "zwei Tische, als der gelbe neben dem Ofen und der alte im Stübchen mit sechs Stück hölzerner Lehnstühle".  Eigentlich waren es 3 Tische 9 Stühle, Herr Lohs hatte wohl einen Tisch mit 3 Stühlen behalten. War das Stübchen eine abgeteilte Nische oder ein eigener Raum? Ferner war da noch "die lange gelbe Tafel in der Schankstube mit vier Lehnbänken". Zur Beleuchtung diente "ein Leuchter an der Decke in Saale und sechs Stück hölzerne Leuchter sowie drei Stück Drahtleuchter". Sogar "drei Stück Lichtputzen", also Dochtscheren wurden aufgeführt.

Frühe Bierflasche
Frühe Bierflasche

Doch nun zum wesentlichen Teil des Schankraumes, dem Bierfass. Darauf deutet der in der Inventarliste aufgeführte Bierhahn. Es war genau einer, also gab es auch nur eine Sorte Bier, Ein "Lichter" genanntes Helles. Das Fass selbst war nicht aufgeführt, denn es gehörte natürlich der Brauerei. Zum Bier brauchte man Gläser. Davon gab es zwei Dutzend normale Biergläser und drei Stück kleine (für die Frauen?). Zur Aufbewahrung diente ein Flaschen- und Gläserschrank in der Gaststube. Da im Lehngericht auch Schnaps gebrannt werden durfte, standen auch 8 Brandweinflaschen nebst 18 Brandweingläsern auf der Inventarliste. Wein wurde nicht erwähnt.

Dafür gab es neuerdings einen Bierflaschenschrank. 1833 wurde in Chemnitz eine Brauerei-Reform durchgeführt, dabei tauchten erstmals Bierflaschen auf. Es waren noch keine Glasflaschen, sondern Keramikflaschen, die mit einem Korken und einer Drahtsicherung verschlossen wurden. Im Zuge dieser Reform wurde auch festgelegt, welche Biersorten in Chemnitz gebraut werden durften. Das war neben dem "Lichter", ein "Braunes" und ein stärkeres "Tafelbier". Letzteres hatte mehr Alkohol und eine höhere Stammwürze und war somit länger haltbar. Dieses Tafelbier wurde zweifellos in den neuen Flaschen abgefüllt, die sich auch im Kemtauer Bierschrank wiederfanden. Laut Inventarliste fasste dieser Schrank fünfzig Flaschen und es gab dazu 6 spezielle Flaschengläser, die wohl den gesamten Inhalt so einer Flasche aufnehmen konnten. Da es nur sechs Gläser gab, dürfte so ein Starkbier deutlich teurer gewesen sein. Auf ein Bockbier, das es in München damals schon gab, mussten die Chemnitzer und Kemtauer noch ein paar Jahre warten.

Leider enden die verfügbaren Gerichtsbücher für Kemtau mit dem Jahr 1847. Wie lange Karl Adolph Müller der Besitzer des Gasthofes war ist unbekannt. Die Vertragsklausel, dass Bier von der Brauerei des Lehngerichts Kemtau zu beziehen, fehlt in seinem Kaufvertrag. Der Besitzer des Lehngerichts, Adolph Ferdinand Wieland, hatte das Lehngericht im Januar 1847 zum Verkauf angeboten. Einen Pächter gab es erst wieder als der Käufer Anton Constantin Röber in der Leipziger Zeitung annoncierte: "Die Brauerei des Lehngerichts Kemtau bei Chemnitz soll von Weihnachten 1849 unter billigen Bedingungen aus freier Hand verpachtet werden." Ob danach wieder Bier gebraut und Schnaps gebrannt wurde, ist offen.

Zeitleiste der weiteren Entwicklung

Ansicht vor dem Brand 1921 Quelle: SLUB Deutsche Fotothek
Ansicht vor dem Brand 1921 Quelle: SLUB Deutsche Fotothek

- 1848 erhielt der Gasthof die Gasthofsgerechtigkeit, womit das Recht zur Beherbergung und Pferdeausspanne verbunden war

- es folgten zahlreiche Eigentümer und Pächter

- um 1900 Nestler's Gasthof

- 1907 Karl Emil Weißbach wird Besitzer

- 1909 Übernahme durch Bruno Nötzold

- 1910 Heinrich Eduard Schild

Anzeige aus Burkhardtsdorfer Zeitung vom 27.1.1909
Anzeige aus Burkhardtsdorfer Zeitung vom 27.1.1909

Die Wirtsleute Martin waren vermutlich Pächter und nicht Eigentümer des Hauses.

Aus der Burkhardtsdorfer Zeitung
Aus der Burkhardtsdorfer Zeitung

- 1921 der ursprüngliche Gasthof wird am 7. Juni durch einen Brand vernichtet

Der Gasthof um 1925
Der Gasthof um 1925

1922 Wiedererrichtung durch Albin Präßler in der heute bekannten Architektur

Der Gasthof mit Saal im Jahre 1941
Der Gasthof mit Saal im Jahre 1941

1927-1929 Anbau des Saales der als Tanz- und Festsaal genutzt wurde

Der Gasthof um 1958
Der Gasthof um 1958

- ca. 1958 war der Gasthof ein Betriebsferienheim des VEB Montagewerk Halle, einem Betrieb, der die ersten Plattenbauten der DDR aufbaute.

Kinderferienlager "Geschwister Scholl"
Kinderferienlager "Geschwister Scholl"

- 1960 Erwerb durch die Deutsche Post und  Bewirtschaftung als Ferienheim, der Saal wurde als Bettenhaus genutzt

- Der Gasthof wurde in der 60er Jahren auch als Kinderferienlager genutzt

Zu diesem Ferienlager erhielt ich eine Zuschrift von Herrn Frank Hofmann aus Mittweida, die ich gern als Erlebnisbericht veröffentlichen möchte:

"Ich war 10-jährig im Jahr 1970 das erste Mal im Ferienlager und das in Kemtau. Und zweifelsfrei habe ich das Gebäude des ehemaligen "Gasthof Kemtau" wiedererkannt. Ja, es war für mich eine ungewohnt fremde Zeit, da ich zu dem Zeitpunkt noch nie getrennt von meinen Eltern irgendwohin unterwegs war. Aber schön war die Zeit. Ich kann mich an den großen Schlafsaal erinnern und daran, daß es sehr oft zum Frühstück Puddingsuppe gab.

 

Außerdem war gleich neben dem Gasthof eine Bäckerei. Und da Anfang Juli die Zeit der Heidelbeeren war, gingen alle Heidelbeeren sammeln, die wir dann zum großen Teil zum Bäcker schafften, der uns dann am nächsten Tag mit leckeren Heidelbeerkuchen überraschte. Das war damals sowas von unkompliziert, das fehlt heute leider!"

An diese Bäckerei erinnere ich mich auch und bedauere sehr, dass es sie nicht mehr gibt.

Der Gasthof gehörte ab 1973 dem VEB Steremat
Der Gasthof gehörte ab 1973 dem VEB Steremat

- 1972 Ankauf des Gebäudes durch den VEB "Steremat"  Berlin und Nutzung als Betriebsferienheim und Kinderferienlager. Gaststätte und Vereinszimmer bleiben öffentlich.

 

 

Quelle der Zeitleiste: 550 Jahre dörfliches Leben Kemtau / Eibenberg


Werbekarte in den 1990er Jahren
Werbekarte in den 1990er Jahren

So sah der Gasthof nach der Wende aus. 

- 1990 Privatisierung des Gebäudes

- 1991 Kauf durch Roland Schneider

 

Für einen erfolgreichen Neustart schienen alle Voraussetzungen gegeben, aber 1993 kam das endgültige Aus für alte Lokal. Über die Gründe kenne ich nur Gerüchte. Weiß jemand etwas Offizielles?


Mai 2015 Foto: M. Hünlein
Mai 2015 Foto: M. Hünlein

Am alten Gasthof wird wieder gearbeitet. Gibt es neue Pläne für das Gebäude? Wünschenswert wäre es.

Juli 2017
Juli 2017

Der alte Gasthof Kemtau ist wieder bewohnt, wie man an der oberen Fensterreihe erkennt. Auch die Fenster der Gaststube haben Blumenkästen und es wird gebaut. Ein Gasthof wird hier nicht wieder entstehen, teilte mir der neue Besitzer, Thomas Peschke, mit. Die Inschrift am Haus bleibt jedoch zur Erinnerung an den Gasthof erhalten. Herr Peschke konnte auch etwas über den weiteren Verlauf der Geschichte des Hauses berichten:

"Nachdem 2012 die privaten Verhandlungen mit Herrn Schneider scheiterten, ersteigerte ich 2013 den Gasthof im Zuge einer Zwangsversteigerung. 

Im Winter 2012/2013 wurde durch den ehemaligen Eigentümer noch mal alles was annähernd aus Metall war, herausgerissen und zu Geld gemacht. Es sah katastrophal aus.

Bis Herbst 2015 konnten aus privaten Gründen nur Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden, so das dann ab Februar 2016 die Sanierung gezielter voran ging und ich im August 2016 einziehen konnte."

Vielen Dank für die Informationen und viel Glück.

Quelle

(1) 550 Jahre dörfliches Leben Kemtau / Eibenberg

(2) Gerichtshandelsbuch von Kemtau, Sächsisches Staatsarchiv, Nr. GB AG Chemnitz Nr. 187


In eigener Sache: Immer wieder bekomme ich Zuschriften von ehemaligen Gästen des Gasthofes mit der Frage, ob ich noch alte Bilder vom Inneren des Hauses haben. Leider suche ich bisher vergebens nach Aufnahmen vom Saal, Biergarten oder der Gaststube. Kann jemand helfen?