Vom Beginn des Automobilzeitalters bis zum Jahr 1903

Als im Jahre 1903, vielleicht auch ein oder zwei Jahre früher, das erste Automobil aus Richtung Chemnitz den Berg herunter kam, standen sicher einige Burkhardtsdorfer staunend oder auch kopfschüttelnd am Straßenrand. Leider gibt es keine Überlieferung was sie empfanden als dieses Vehikel vorbeifuhr, aber es gibt Zeitzeugen in anderen Gegenden, die uns teilhaben lassen an ihren Emotionen. Zum Beispiel schreibt ein Bäckerjunge, der spätere Schriftsteller Oskar Maria Graf, aus Berg am Starnberger See im Jahre 1900:

"Damals nämlich tauchten in unserer Gegend die ersten noch ziemlich ungeschlachten Automobile auf. Sie wälzten daher wie polternde Ungeheuer, fuhren mit laut klopfendem Surren auf den Straßen dahin, stanken nach Benzin und wirbelten dicke Staubwolken auf. Nicht minder häßlich, ja fast gefährlich sahen ihre Insassen aus. Die Männer hatten ihre Mützen tief ins Gesicht gezogen, den Kragen des weiten Staubmantels hochgeschlagen, und die Frauen mit ihren riesengroßen Hüten waren in dichte, meist weiße Schleier gehüllt. Sie trugen dunkle Brillen, was das gespenstische Aussehen noch steigerte. Kein Wunder, daß wir einem solchen Gefährt weit auswichen und es von der Ferne ängstlich und feindselig verfolgten."

So oder so ähnlich muss das Bild gewesen sein, dass die Burkhardtsdorfer vom Beginn des Automobilzeitalter erhielten.


Aber wie sahen sie aus, diese ersten Automobile? Welche Hersteller gab es damals und wer waren die ersten Automobilisten?

Daimler und Benz

Gottlieb Daimler
Gottlieb Daimler

Gottleib Daimler und Carl Benz gelten als die Erfinder des modernen Automobils. Sie konstruierten und entwickelten unabhängig voneinander die ersten Benzinmotoren und bauten sie um das Jahr 1886 in ein Fahrzeug ein. 

Carl Benz
Carl Benz

Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 Quelle: Wikipedia
Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 Quelle: Wikipedia

Carl Benz aus Karlsruhe war etwas schneller als sein Konkurrent und entwickelte schon 1878/79 seinen ersten Zweitaktmotor, ein Viertaktmotor folgte kurz darauf. Er gründete in Mannheim mehrere Fabriken, die letztendlich 1883 in die Benz & Cie. Rheinische Gasmotorenfabrik Mannheim mündeten. Zwei Jahre später baute er seinen Viertakt-Motor mit elektrischer Zündung in das abgebildete dreirädrige Vehikel und fuhr damit im Sommer 1885 durch Mannheim. Der Motor hatte 0,67 PS und das erste Benzinauto konnte 16 km/h schnell fahren. Am 29. Januar 1886 schrieb Karl Friedrich Benz Industriegeschichte, indem er dieses Fahrzeug beim Reichspatentamt unter der Nummer 37435 zum Patent anmeldete.

Zunächst erntete er viel Spott für seinen "Wagen ohne Pferde", aber es gab auch Stimmen, die seiner Erfindung eine große Zukunft prophezeiten. So schrieb der Generalanzeiger der Stadt Mannheim, dass dieses Fuhrwerk „ohne viele Umstände in Gebrauch gesetzt werden kann und weil es, bei möglichster Schnelligkeit, das billigste Beförderungsmittel für Geschäftsreisende, eventuell auch für Touristen werden wird".

Daimler Motorkutsche Quelle: Wikipedia
Daimler Motorkutsche Quelle: Wikipedia

Gottlieb Daimler war Werkstattleiter in der Kölner Gasmotorenfabrik Deutz, Nikolaus Otto gehörte, nachdem der heutige Otto-Motor benannt ist. Zusammen mit Wilhelm Maybach, dem späteren Konstrukteur der legendären Automarke Maybach, entwickelte Daimler Gasmotoren. Nach einem Streit zwischen Daimler und Otto verließ er zusammen mit Maybach die Firma und gründete eine Versuchswerkstatt in Cannstatt. Ihr Ziel war die Entwicklung leichter und schnell laufender Verbrennungsmotoren, die universell einsetzbar und Fahrzeuge auf dem Land und Wasser antreiben konnten. Ein Jahr später 1883 meldete er einen gemeinsam mit dem bei ihm angestellten Maybach entwickelten, revolutionär verbesserten Einzylinder-Viertaktmotor zum Patent an. Dieser Einzylindermotor wog 60 kg, hatte einen Hubraum von 264 cm³ und leistete 1 PS. Am 3. April 1885 erhielt Daimler das Reichspatent Nr. 34926 auf seine Kraftmaschine, die als Standuhr in die Technikgeschichte einging. 

Im gleichen Jahr konstruierten einen sogenannten Reitwagen, das erste Motorrad mit Benzinmotor und danach folgte das erste Motorboot. Im Oktober 1886 bauten sie ihren Motor in die abgebildete speziell dafür konstruierte Kutsche ein. Der erste Daimler Wagen war geboren.

Der Anfang war somit gemacht, das Automobil-Zeitalter konnte beginnen. Allerdings waren die Fahrzeuge Einzelstücke, die nicht über die Landesgrenzen des heutigen Baden-Württemberg hinaus zu sehen waren. Ein Grund dafür war sicherlich die "Bereifung", Vollgummi oder gar Luftreifen gab es noch nicht. Bis die ersten Automobile in größeren Serien hergestellt wurden, vergingen noch einige Jahre.

Das neue Gefährt wird bekannt gemacht

Postkartenmotiv des illuminierten Eiffelturms Quelle: Wikipedia
Postkartenmotiv des illuminierten Eiffelturms Quelle: Wikipedia

Als 1889 die 10. Weltausstellung in Paris stattfand, wurde nicht nur der Eiffelturm errichtet, der Phonograph von Edison vorgestellt und die Wild West Show von Buffalo Bill vorgeführt. Auch Gottlieb Daimler stellte seinen Motorwagen vor. Schon zuvor hatte er einen Lizenzvertrag mit der französischen Automobilfabrik Panhard & Levassor abgeschlossen. Die Familien Daimler und Levassor waren befreundet und ein Jahr später kam das erste Automobil Frankreichs mit einem Daimler-Motor auf den Markt. Die Ausstellung gilt auch als Initialzündung für die französische Automobilindustrie. Französische Automobilfirmen schossen wie Pilze aus dem Boden, darunter Peugeot und  De Dion-Bouton, der erste Massenhersteller und zeitweilig größter Hersteller der Welt. Unzählige Andere gingen bald wieder unter aber Frankreich übernahm die Führung im Automobilbau. Ein Grund dafür war, dass Paris damals die besten Straßen Europas hatte. Verkehrsregeln gab es jedoch nicht. Und so kam es immer wieder zu spektakulären Unfällen der 2 bis 3 PS starken Karossen. Die Autofahrer selbst waren im Übrigen auch nicht immer zimperlich, sie züchtigten zudringliche Fußgänger oder Kinder einfach mit der Peitsche. Am 14. August 1893 ordnete deshalb der Pariser Polizeipräsident Louis Lépine an, dass jedes Auto ein Nummernschild erhalten und jeder Automobilist eine Fahrprüfung ablegen müsse. Unter dieser Fahrprüfung muss man sich anfangs natürlich etwas Anderes vorstellen als heute. Es reichte, sein Vehikel anzuwerfen und unfallfrei damit ein paar Meter zu fahren. In Deutschland gab es nicht einmal das.

Das erste Automobilrennen der Welt

Illustrierte Beilage des Le Petit Journal vom 6. August 1994
Illustrierte Beilage des Le Petit Journal vom 6. August 1994

Nach der Weltausstellung war Paris der Nabel der Welt, kein Wunder also, dass hier am 22. Juli 1894 das erste Automobilrennen der Welt startete. Es war eigentlich kein Rennen, bei dem der Schnellste gewinnen sollte, sondern eine sogenannte Zuverlässigkeitsfahrt - und es war ein riesiges Spektakel! Tausende Schaulustige wollten das von der Pariser Tageszeitung "Le Petit Journal" ausgeschriebenen Veranstaltung sehen, darunter auch Gottlieb Daimler und sein Sohn Paul. 

Die Abbildung zeigt das Eintreffen der Rennwagen am Start an der Porte Maillot im Pariser Stadtteil Neuilly sur Seine morgens um 7.00 Uhr. Im Wagen vorn rechts sitzt Louis Rigoulot, Ingenieur bei Peugeot und ein guter Bekannter von Gottlieb Daimler. Er sprach fließend deutsch, denn Monsieur Rigoulot hatte in Chemnitz Maschinenbau studiert und 1860 promoviert. Am Ende des Tages ging er als 12. durch's Ziel.

Ein Peugeot Vis-a-Vis Quelle: Wikipedia
Ein Peugeot Vis-a-Vis Quelle: Wikipedia

102 "Rennwagen" aus vier Nationen hatten sich für den Wettbewerb angemeldet. Angetrieben wurden sie nicht nur von Dampfmaschinen, Elektromotoren und den Benzinern, sondern auch solche abenteuerliche Gefährte, die mit Pressluft, Federkraft, Pendeln oder durch die Schwerkraft der Insassen angetrieben wurden. Alle Teilnehmer mussten zunächst ihre Qualifikation nachweisen. Dazu fanden schon drei Tage vor dem Rennen Vorläufe statt. Nur 21 Fahrzeuge durften letztlich an den Start gehen. Neben skurrilen Karosserien, wie Lieferwagen, Busse mit 10 Sitzen und schweren Dampfwagen, gab es auch die damals sehr beliebte Karosserieform Vis-a-Vis. Der Fahrer saß auf dem Rücksitz und schaute zwischen den gegenüber sitzenden Passagieren hindurch auf die Fahrbahn. Dar Fahrer auf dem Bild ist der zweite von rechts und hieß Auguste Doriot der auch für Peugeot fuhr. Er landete auf dem dritten Platz.

Der Erste am Ziel war Graf de Dion Quelle: Wikipedia
Der Erste am Ziel war Graf de Dion Quelle: Wikipedia

Graf Albert de Dion muss der Star des Wettbewerbs gewesen sein, denn er war der Erste der um 8.00 Uhr an diesem sonnigen Julitag auf die 126 km lange Piste nach Rouen ging. Mit seinem 20 PS starken schweren Dampftraktor hatte er etwas Pech, wurde aus einer Kurve getragen und landete in einem Kartoffelacker. Zum Glück saßen in seinem Victoria-Anhäger einige Freunde, die ihn wieder auf die Straße schieben konnten. In der Mitte der Strecke gab es einen "Boxenstop" im Städtchen Mantes-la-Jolie im Hôtel du Grand Cerf. Dort war ein Tanklager eingerichtet und die Fahrer machten eine ausgiebige Mittagspause von 90 Minuten. Um 14.48 Uhr traf der Graf dennoch als Erster am Ziel an. Sehr ärgerlich war für ihn jedoch, dass ihm der Sieg aberkannt wurde. Laut Ausschreibung sollten die 5000 Francs Preisgeld nicht dem schnellsten Fahrer, sondern demjenigen gehören, der "das ungefährlichste, am leichtesten zu bedienende und billigste Gefährt" präsentierte. Deshalb teilten sich die Benzinautos von Panhard-Levassor und Peugeot das Preisgeld für den ersten Platz, da sie nur wenige Minuten nach dem globigen Dampfmobil mit Anhänger von de Dion eintrafen. Von den 17 Wagen, die das Ziel erreichten, hatten neun einen Benzinmotor von Daimler, darunter auch die beiden Sieger und somit gehörte auch Gottlieb Daimler zu den Gewinnern. 

Dieses Rennen war die Geburtsstunde des Automobilsports und es folgten von nun an regelmäßige Rennveranstaltungen.

Um die Jahrhundertwende

Die bisher beschriebenen Automobile waren alles Einzelstücke und wurden weit weg von Burkhardtsdorf gebaut. Solch ein Gefährt bekam man sicher noch nicht auf der Straße von Chemnitz nach Annaberg zu Gesicht. Aber bis zur Jahrhundertwende brachten beide deutschen Automobilhersteller, Daimler und Benz, die ersten Serienfahrzeuge auf den Markt.
Der Benz Patent-Motorwagen Velo von 1894 Quelle: Wikipedia
Der Benz Patent-Motorwagen Velo von 1894 Quelle: Wikipedia

Dieser Motorwagen von Benz war das erste in Serie produzierte Auto. Er wurde von 1894 - 1901 insgesamt 1200 mal verkauft. In der Grundausstattung mit einem 1045 ccm und 1,5 PS Einzylindermotor kostete er 1000 Mark. Die Leistung der Motoren wurde später auf 3,5 PS gesteigert und es kam auch ein besser ausgestattetes Model heraus, das Velociped Comfortable. Es kostete bis zu 2800 Mark. Diese Karrosserieform nannte sich Phaeton, war aber immer noch mehr Kutsche als Auto.

Daimler Phönix von 1897 am Steuer Emil Jellinek Quelle: Wikipedia
Daimler Phönix von 1897 am Steuer Emil Jellinek Quelle: Wikipedia

Das erste in Großserie gebaute Automobil von Daimler war der Phönix. Er war mit dem neuen 4-Zylinder Motor, dem ersten der Welt, ausgestattet. Dieser Motor leistete von 4 PS bis 23 PS durch immer größeren Hubraum. Auch zahlreiche Karrosseriearten kamen auf den Markt mit heute eher unbekannten Namen wie Vis-à-vis, Phaeton, Victoria oder Landauer. Der abgebildete Wagen war eher ein Rennwagen. Der Fahrer hieß damals noch Emil Jellinek, war ein österreichisch-ungarischer Geschäftsmann, Diplomat und Auto-Narr. Er hatte schon verschiedene Automobile gefahren, als er 1896 durch ein Inserat in den "Fliegenden Blättern" auf die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) in Cannstatt aufmerksam. Er reiste dorthin, um Daimler und Maybach kennen zu lernen und bestellte seinen ersten Daimler-Wagen. Es begann eine enge Zusammenarbeit. Nebenbei bemerkt, Jellinek hatte eine kleine Tochter namens Mercédès Adrienne Manuela Ramona. Sie gab der wohl bekanntesten Automobilmarke der Welt ihren Namen. Im September 1902 wurde der Name „Mercedes“ für die Daimler Motoren Gesellschaft gesetzlich geschützt und Herr Jellinek hieß fortan Emil Jellinek-Mercedes.

Der Wartburg-Motorwagen von 1898 Quelle: Wikipedia
Der Wartburg-Motorwagen von 1898 Quelle: Wikipedia

Neben den beiden deutschen Automobilherstellern Daimler und Benz, tauchte kurz vor der Jahrhundertwende ein weiterer auf. In Eisenach wurde 1899 der erste "Wartburg" produziert. Vielen nur aus der DDR bekannt, begann die Erfolgsgeschichte des Wartburg schon viel früher. Bis 1904 wurden immerhin 250 Fahrzeuge verkauft. Das Modell mit dem Klappverdeck kostete 3500 bis 3950 Mark. Der Ottomotor mit zwei Zylindern hatte 764 cm³ und leistete in der Rennversion immerhin 8 PS. Damit kam der "Wartburg" auf 40 km/h.

Die erste Automobilzeitung erschien 1887
Die erste Automobilzeitung erschien 1887

Die Popularität des neuen Fortbewegungsmittels Automobil nahm nun rasant zu. "Der Motorwagen", die Zeitschrift des mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins erschien zweimal im Monat und informierte ausführlich über die neueste Entwicklung Automobile in Deutschland und Europa. Herausgeber war der am 30. September 1897 im Berliner Hotel Bristol gegründete "Mitteleuropäischen Motorwagen-Verein", der erste Automobilklub Deutschlands. Zu den acht Gründungsmitgliedern zählen auch Gottlieb Daimler und Karl Benz. Da zu dieser Veranstaltung auch die Automobile der Gründungsmitglieder ausgestellt wurden, galt diese auch als erste Automobilausstellung in Deutschland. Einer von ihnen war Friedrich Lutzmann, er brachte 1899 den Patentmotorwagen „System Lutzmann“ auf den Markt, der als erster "Opel" gilt.

In Sachsen gab es zur Jahrhundertwende noch keine Automobilindustrie, aber August Horch baute 1900 sein erstes Automobil mit dem von ihm entwickelten „stoßfreien Motor“ in Köln-Ehrenfeld. 1902 wechselte er nach Reichenbach im Vogtland und 1903 nach Zwickau. Dort stellte er das erste deutsche Auto mit einem Vierzylindermotor vor.

In Frankfurt am Main tauchte ein weiterer Akteur auf dem Automobilmarkt auf. Die Adlerwerke, zunächst mit Fahrrädern und Motorrädern beschäftigt, bauten im Jahre 1900 ihr erstes Automobil, noch als "Vis-a-Vis". Ein Jahr später folgte als drittes Modell der Adler 8 PS mit einem Zylinder und 865 cm³ Hubraum. Diesem Fahrzeug wurde 1902 ein literarisches Denkmal gesetzt.

Reise von Berlin nach Sorrent

Das Ehepaar Bierbaum im Adler Cabrio Quelle (2)
Das Ehepaar Bierbaum im Adler Cabrio Quelle (2)

Otto Julius Bierbaum, auch bekannt unter seinem Pseudonym "Simplicissimus" schrieb die erste Reisebeschreibung mit einem Automobil. "Eine empfindsame Reise im Automobil" schildert eine Fahrt von Berlin nach Sorrent im Jahre 1902. Das Buch war eine Auftragsarbeit seines Verlages, der auch das Auto samt einem Fahrer stellte. Bierbaum beschreibt seine Reise in Form von Briefen an seine Freunde. Zum Auto schreibt er: " Im übrigen sieht es sehr vertrauenerweckend aus, und Louis Riegel, der Fahrer, erklärt, jeden beliebigen Berg damit »nehmen« zu wollen. Acht Pferdekräfte, sagt er, sei eine ganze Menge. Und das finde ich auch, da ich bisher höchstens mit zwei Pferden gefahren bin. Übrigens kommt es, wie ich erfahren habe, auch auf die Zahl der Zylinder an, und erfahrene Leute wollen mich bange machen, weil unser Wagen nur einen hat. Etwa mitgeführte Zylinderhüte, erklären diese Kenner, können als Ersatz nicht gelten."

Die erste Etappe beginnt am 10. April 1902 und geht von Berlin nach Wien, leider über Dresden und nicht über Chemnitz und das Erzgebirge. "Wir sind um 11 Uhr in Berlin abgefahren, durchs Tempelhofer Feld hinaus über Zossen, Baruth, Luckau, Elsterwerda hierher (Großenhain), wo wir gegen ½7 Uhr angekommen sind. Bald langsam, bald schnell, fast immer mit Gegenwind kämpfend und sehr oft behindert durch die Notwendigkeit, auf unruhige Pferde Rücksicht zu nehmen, die instinktiv eine Antipathie gegen den Wagen haben."

Gefahren wurde bei jedem Wetter und Bierbaum schreibt an seinen Freund: "Denn, sehen Sie sich, bitte, dieses Lederpaket an! Es ist eine ingeniös erfundene Vorderplane mit zwei Guckfenstern. Diese werden wir uns vorknöpfen, wenn das Wetter grob wird. Da unsere Augen an den verstärkten Luftzug noch nicht gewöhnt sind, haben wir die großen Schutzbrillen benützt und gefunden, daß sie nicht halb so lästig sind, wie wir gedacht hatten."

Auf der Höhe des Brenners Quelle (2)
Auf der Höhe des Brenners Quelle (2)

Im Reiseabschnitt von München nach Eppan (bei Bozen) beschreibt Bierbaum zum ersten Mal eine Alpenüberquerung mit einem Automobil. Zur Fahrt nach Innsbruck schreibt er: "Unser Motor bekam reichlich zu tun. Er hatte in kurzer Zeit von 913 auf 1180 Meter zu steigen und dabei einmal eine so steile Straße zu nehmen, daß wir es vorzogen, den Wagen um unser Gewicht zu erleichtern und etwa zehn Minuten zu Fuße zu gehen. Der Abstieg nach Innsbruck ist noch erheblicher, da diese Stadt nur 574 Meter hoch liegt. Ohne so ausgezeichnete Bremsvorrichtungen, wie sie unser Adlerwagen hat, wäre die Befahrung eines solchen Gefälles im Automobil eine lebensgefährliche Tollkühnheit. Es ist eine echte Hochgebirgspartie von mächtiger Schönheit." 

Auch die Fahrt über den Brenner-Pass scheint eher Vergnügen bereitet zu haben: "Der Umstand, daß die Brennerstraße so gut wie keinen Fahrverkehr hat, macht sie für Wagenreisen noch besonders angenehm. Auf der Paßhöhe fanden wir frischen Schnee, doch war die Temperatur milder, als wir es von den 1400 Metern erwartet hatten."

Für das Reisen mit der Eisenbahn hatte er wohl wenig Verständnis: "Noch an keinem Tage haben uns die Eisenbahnreisenden so leid getan wie heute, denn wir fuhren heute auf der alten Straße über den Brenner, bald über, bald unter, bald neben der Brennerbahn, deren schwarze geschlossene Wagen uns wie aneinander gekoppelte rußige Käfige vorkamen. Daß die heutigen Menschen, ohne durch Amt, Geschäft, Krankheit dazu gezwungen zu sein, sich freiwillig nicht bloß zur rauhen Jahreszeit, sondern auch dann, wenn alles ins Freie lockt, in diese Käfige begeben, nur, weil sie die Möglichkeit haben, damit schnell vorwärts zu kommen, wird einmal zu den Wunderlichkeiten unserer Zeit gehören, über die unsere Nachkommen lächeln werden."

Wenn man im Jahre 1902 schon so problemlos die Alpen im Automobil überqueren konnte, dürfte das Fahren im Erzgebirge auch möglich gewesen sein.

Im Jahre 1903

Spätestens in diesem Jahr, vielleicht auch ein oder zwei Jahre früher, dürfte das erste Automobil am Gasthof Auenberg in Burkhardtsdorf Rast gemacht haben. Die Burkhardtsdorfer hatten sicher schon von diesen neuen Fortbewegungsmitteln gehört oder gelesen. Möglicherweise wurde sogar im überegionalen Teil der "Burkhardtsdorfer Zeitung" darüber berichtet und so mancher Technikbegeisterter wollte teilhaben an dieser neuen Entwicklung.
Dr. Karl Dieterich und sein Bruder Hans in zwei Benz  Quelle (3)
Dr. Karl Dieterich und sein Bruder Hans in zwei Benz Quelle (3)

Wie das Autofahren 1903 praktisch aussah, kann man in der Januarausgabe der Zeitung "Der Motorwagen" nachlesen. Hier wird unter dem Titel "Autofahren im Winter" über einen Vortrag von  Dr. phil. Karl Dieterich, Direktor der Chemischen Fabrik Helfenberg A. G. bei Dresden, berichtet. Er erzählte über sich: "Ich bin selbst seit Jahren Automobilfahrer und habe fast jedes Jahr eine andere Type gefahren und bin da auf dem Lande wohnend, gezwungen, bei schlechtester und kältester Winterszeit das Automobil als Verkehrsmittel tagtäglich zu benutzen."

Von den Produkten der damaligen Automobilindustrie scheint er nicht begeistert zu sein: "Leider, leider geht eben das Bestreben der Motorfabriken noch immer dahin "Sports-Wagen" nicht aber "Gebrauchs-Wagen" zu schaffen, die im Winter gegen Wind und Wetter den in Coupe und Landauer gewohnten Schulz bieten. Leider existieren heute wirkliche Gebrauchswagen, die auch gleichmäßig in der größten Hitze, wie in der scharfen Winterkälte von - 15 bis 18° ohne weitere Maßregeln funktionieren, und praktisch auch äußerlich auf ungünstige Witterungsverhältnisse eingerichtet sind, recht spärlich und dann von einem ungeheuerlichen Preis!"

Zu den allgemeinen Beschwerlichkeiten des Autofahrens meint er: "abgesehen von dem geringen Schutz gegen Kälte und gegen Nässe auch sonst die innere Sauberkeit wegen der vorhandenen Maschinenteile im Motor nicht immer so einwandfrei, dass man es riskieren könnte, Herren in Gesellschaftsanzug, geschweige Damen in Balltoilette ungefährdet der empfindlichen Kleidung einzuladen, an Stelle des sonst üblichen Wagens das Automobil zu benutzen. Wer im Sommer Gelegenheit hat, nach einer gar nicht einmal großen Tour die Insassen eines Tonneauwagens verstaubt und in Mäntel verhüllt, mit Brillen versehen, in Leder gekleidet, beinahe wie Wesen aus einer anderen Welt aussteigen zu sehen, der wird sich schon selbst sagen, dass dies wohl für Sportsleute erträglich ist, für das gewöhnliche Publikum aber nichts weniger als empfehlend wirkt!" 

Hier berichteten also zwei Fabrikbesitzer über ihre Erfahrungen als frühe Automobilisten in Dresden. Wie war das nun in Burkhardtsdorf? Gab es auch einen gut betuchten Strumpffabrikbesitzer oder dessen Sohn, der sich seinen Traum erfüllte und einen Benz oder Daimler kaufte?

Der erste Automobilist in Burkhardtsdorf

Es war im Jahre 1903 als die Gemeinde Burkhardtsdorf den lang gehegten Plan, ein Elektrizitätswerk zu errichten, in die Tat umsetzte. Max Ebert, Elektroinstallateur aus Chemnitz, erhielt den Auftrag zur Projektierung und Errichtung dieses Werkes. Herr Ebert hatte in der Zöllnerstr. 26 ein elektrotechnisches Geschäft. Seine Frau Emilie Anna hielt das Geschäft wohl am laufen während Herr Ebert immer häufiger zwischen Chemnitz und Burkhardtsdorf mit der Eisenbahn oder einer Kutsche hin- und herreiste um diesen lukrativen Auftrag zu erfüllen. Wann genau er auf die Idee kam, sich ein Automobil zu kaufen ist nicht bekannt. Vielleicht war es schon in der Projektierungsphase 1903 oder erst während des Baues 1904/05. In dieser Zeit hatte er im Gasthaus zur Sonne ein Zimmer gemietet. Auf jeden Fall Herr Ebert, der auch der Besitzer des E-Werkes nach der Fertigstellung war, galt als erster Automobilbesitzer von Burkhardtsdorf. Da er bis 1906 seinen Hauptwohnsitz in Chemnitz hatte, war er also auch ein früher Pendler. Leider gibt es keine Angaben zum Fabrikat oder Modell seines Fahrzeuges. Im Laufe des Jahres 1906 ist Max Ebert mit seiner Frau umgezogen und wohnte für vier Jahre höchstwahrscheinlich in Burkhardtsdorf. Im Juli 1907 wurde das gesamte Werk an das "Elektrizitätswerk an der Lungwitz i. S." verkauft und die Eberts hatten nichts mehr mit dem Burkhardtsdorfer E-Werk zu tun. 

Herrn Ebert sollte das Schicksal schon ein knappes Jahr nach seinem Rückzug aus dem Geschäft noch einmal mit seiner ehemaligen Wirkungsstätte in Verbindung bringen. Es war am 2. Juni 1908 als er zusammen mit seiner Gattin Anna im Auto von Thum kommend am Gasthof Auenberg vorbei fuhr. Sie waren wohl auf dem Weg nach Hause. Es kam zu einem schweren Unfall, über den die "Burkhardtsdorfer Zeitung" in ihrer Beilage am 6. Juni berichtete. Ausgerechnet Arbeiter des E-Werkes hatten den Unfall verursacht, indem sie ein Drahtseil über die Straße zogen als die Eberts angerast kamen. Sie wurden aus dem Wagen geschleudert, erlitten aber nur leichte Verletzungen. Bei den damaligen "Sicherheitsstandards" der Auto's ein Riesenglück. Das erste Burkhardtsdorfer Automobil raste allein eine Böschung hinunter und erlitt einen Totalschaden. 1909 zogen sie wieder in ihre alte Wohnung in der Zöllnerstraße 26 in Chemnitz. Da hatte er schon wieder ein neues Automobil, das noch in Burkhardtsdorf zugelassen war. Es hatte das KFZ-Kennzeichen IV 919.


Mit diesem glimpflich ausgegangenem Unfall endet der 1. Teil, ein Zweiter wird folgen. Darin wird es um die Anfänge der sächsischen Automobilindustrie gehen. Dazu Fragen wie sahen die ersten Verkehrsregeln und Verkehrszeichen aus? Wo gab es Tankstellen, Werkstätten und Fahrschulen? Ab wann gab es KFZ-Kennzeichen?

Quellen

(1) Wegweiser für Rad- und Automobilfahrer im Königreich Sachsen Teil II, Hrsg. Hans Traugott Hirsch, Verlag Ludwig Ravenstein, Frankfurt a. Main 1903

(2) Eine empfindsame Reise im Automobil, Otto Julius Bierbaum, Verlag Julius Bard, Berlin 1903

(3) Zeitschrift des mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins, Januar 1903