Die Entwicklung der Spinnfabrik im Ortsteil Kamerun

Meilenblatt datiert 1788 vom Auental im Ortsteil Kamerun
Meilenblatt datiert 1788 vom Auental im Ortsteil Kamerun

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts befand sich im heutigen Ortsteil Kamerun ein einzelnes Gebäude - die Brett-Mühle des Johann Samuel Kreißig, dem Besitzer des Felsengutes im Kemtauer Oberdorf. Das Haus wurde 1774 neu gebaut und die alte Mühle abgerissen. Gut zu sehen sind die Wiesen rechts der Zwönitz (Kemnitz) und der Mühlgraben, an dem die Schneidmühle lag. Zu erkennen ist auch der Heuweg, der am Burgstein vorbei, ins Oberdorf führt.

Die nun folgenden rasante Entwicklung beginnt im Jahre 1823. Die Völkerschlacht bei Leipzig war seit 10 Jahren Geschichte und die Industrielle Revolution hielt auch im abgelegenen Kemtauer Ortsteil Kamerun Einzug. Noch dominierte die Wasserkraft als Antrieb der aufkommenden Maschinen in den neuen Industriezweigen. Dazu gehörte auch die Strumpfindustrie im Erzgebirge.

Verkauf der Mühle im Jahre 1823

Meilenblatt datiert 1822
Meilenblatt datiert 1822

Auf der nebenstehenden Karte ist die Bret-Mühle zwar noch fest eingezeichnet, aber in roter Farbe ist eine wichtige Ergänzung eingetragen worden. Nun sind drei Gebäude zu erkennen und das Ganze wird als Spinn-Mühle bezeichnet.

Das Spinnereizeitalter in Kamerun begann am 20. Februar 1823 als Herr Johann Samuel Kreißig seine dortige Brettmühle verkaufte. Der Kaufpreis betrug 300 Taler, für eine Produktionsstätte ein "Schnäppchen". Kreißig, damals 60 Jahre alt, betrieb sein Sägewerk vorwiegend als Dienstleitung für die anderen Bauerngüter im Kemtauer Oberdorf, die dafür einen jährlichen Festbetrag errichteten. Dementsprechend war die Ausstattung wohl eher spartanisch. Im Kaufvertag (1) bestand das Zubehör aus dem Schneidzeug, Rädern, Säge- und Eisenwerk. Herr Schaarschmidt hatte jedoch die Absicht eine Baumwollspinnfabrik zu betreiben und brauchte dieses Inventar nicht.

Zum Gebäude gibt es keine Angaben über den Zustand und die Abmessungen. Dafür wurde ausgiebig der dazugehörige "7 Metzen guter Wiesenboden" beschrieben. Diese Wiese hatte einen Umfang von 269 1/4 Ellen und wurde durch 5 Rainpfähle begrenzt. Die Abstände zwischen den Pfählen wurde auf eine Viertelelle genau angegeben. Hier kommen Zweifel auf, ob mit Elle (0,5664 m) gemeint ist. Zum Messen von Stoff ist die Elle sicher geeignet, aber zur Feldvermessung war wohl die Rute (4,3 m) üblicher. Ein weiteres Rätsel sind die 7 Metzen Wiesenboden, denn Metzen sind kein Flächenmaß, sondern ein Hohlmaß für Saatgut. Man benutzte es zwar auch als Fläche, für die das Saatgut benötigt wurde, aber für eine Wiese brauchte man kein Saatgut.

Wie auch immer, diese Wiese war ein sehr wichtiger Vertragsgegenstand. Ebenso die mit dem Kauf verbundenen Verpflichtungen. So musste der Mühlgraben, das Wehr und das Wasserrad auf Kosten des neuen Besitzers instand gehalten werden. Weiterhin musste der Zugang zu den anderen Wiesen hinter dem Mühlgraben, die zum Felsengut gehörten, gewährleistet werden, sowie der Abtransport der Heuernte über den heute noch so genannten Heuweg ins Oberdorf ermöglicht bleiben. Und eine ganz besondere Bedingung was, dass Herr Schaarschmidt zu Weihnachten im Felsengut erscheinen musste, um 7 Groschen "Weihnachtsgeld" zu entrichten. Dafür durfte er den Kaufpreis in zwei Raten zu 150 Talern begleichen.

Welche Gründe Herrn Kreißig damals bewogen, sein Sägewerk zu verkaufen ist nicht überliefert, aber vielleicht waren es gesundheitliche Probleme, denn Samuel Kreißig starb 4 Jahre später.

Doch nun zum Käufer der alten Bret-Mühle. Er hieß Karl Friedrich Schaarschmidt und war lt. Kaufvertrag "Spinnerey" Besitzer aus Dittersdorf. Glücklicherweise gibt es über ihn einen ausführlichen Artikel im "Amtsberger Anzeiger" (2) aus dem das folgende Wissen zusammengetragen ist. 

Herr Schaarschmidt, damals um die 40, war nicht der übliche Fabrikbesitzer, sondern stammte aus einfachen Verhältnissen. Als Sohn eines Häuslers und Handarbeiters wohnte er im Dittersdorfer Oberdorf. Nach seinem Militärdienst im Krieg gegen Napoleon fand er Arbeit bei Evan Evans, dem berühmten walisischen Spinnmaschinen Fabrikanten, der seit 1806 in Dittersdorf eine große Manufaktur betrieb. Hier konnte er sich das notwendige Wissen über die Spinnerei und die erforderlichen Maschinen aneignen. Als Evans 1809 nach Geyer weiter zog, beschloss Schaarschmidt eine eigene Spinnfabrik zu aufbauen. Er erwarb ein Grundstück oberhalb der heutigen Sparkasse Dittersdorf. Der Dorfbach wurde aufgestaut und bildet den heutigen Dorfteich. Mit diesem Wasser wurden die Spinnmaschinen der "englischen Wasserspinnerei" angetrieben. Diese stammten aus der Fabrik von Evan Evans, die noch bis 1813 produzierte. Schaarschmidt musste sich Geld leihen um die 1.200 Taler für die Maschinen aufzubringen. Dazu gehörten lt. einer Aufstellung von 1814: 4 Krempelmaschinen, 1 Strickmaschine, 1 Kammmaschine, 1 Vorspinnmaschine, 8 feine Spinnmaschinen, 2 Weifen und 5 Wollhorden.

Krempelmaschine (3) Nach dem Waschen und Entölen der Wolle, ist das Krempeln eine erste Ausrichtung der losen Textilfasern zu einem Flor oder Vliesstoff
Krempelmaschine (3) Nach dem Waschen und Entölen der Wolle, ist das Krempeln eine erste Ausrichtung der losen Textilfasern zu einem Flor oder Vliesstoff

Aber alles lief gut, die Spinnerei wurde um eine Färbereien und ein weiteres Gebäude erweitert. Dazu kam auch ein Wohnhaus für seine mit Christiana Concordia geb. Brühl gegründete Familie. Was ihn dazu trieb, im Jahre 1823 seine Spinnerei nach Kamerun zu verlegen um danach Dittersdorf vollständig zu verlassen, könnte ein Rechtsstreit mit dem Dittersdorfer Karl Friedrich Richter im Jahre 1822 gewesen sein. Es ging um das Wasser für die Spinnerei. Die Wasserkraft der Zwönitz, die auch in trockenen Sommern zur Verfügung stand, war natürlich viel zuverlässiger. Aber reichte das als Begründung für seinen Ortswechsel? Immerhin musste er im Zwönitztal noch einmal von vorn anfangen. Dazu baute er das Sprinnereigebäude neu auf, wie aus einem Anhang zum Kaufvertrag vom November 1828 hervorgeht: "... durch Neubau in ein Spinnfabrik Gebäude umgewandelte Schneidmühle ist nebst denen darinnen aufgestellten Spinn- und Vorbereitungsmaschinen, samt dazugehörigen Grund und Boden verpfändet wegen eines erborgten Kapitals seiner Eheliebsten von der Kirche 1000 Th."  (10) Seine Maschinen konnte er zwar (incl. seiner Schulden) mitnehmen, aber ein neues Wohnhaus musste gebaut werden. Das dauerte 4 Jahre, erst dann konnte er samt Familie umziehen. Das dritte Haus, wie aus der Karte ersichtlich, wurde in der Folge als Neben- oder Seitengebäude bezeichnet.

Nur drei Jahre später traf Schaarschmidt eine weitere unerklärliche Entscheidung. Er verkaufte seinen Besitz im Ortsteil Kamerun und zog mit seiner Frau und den 13 Kindern nach Hartmannsdorf bei Kirchberg und eröffnete eine Schafwollstreichgarnspinnerei. Es waren wilde Zeiten…

Die "Michel'sche Spinnmühle" im Jahre 1830

Der nächste Kaufvertrag gibt nur wenig neue Erkenntnisse, aber liefert doch einige interessante Details. Die größte Veränderung gegenüber dem vorigen Vertrag ist der Kaufpreis. Er stieg von 300 Talern auf 3.600 Taler und dokumentiert den Wertzuwachs, der von Herrn Schaarschmidt durch Hausbau und Umrüstung des Sägewerkes zu einer Spinnfabrik ausgelöst wurde. 

Im Kaufvertrag ist natürlich wieder die Wiese dabei und sie ist noch exakt von Begrenzungspfählen in den gleichen Abständen angegeben, wie 7 Jahre zuvor. Aber das ist wohl auch die gewünschte Aussage: Niemand hat die Pfähle manipuliert. Bei den Gebäuden braucht man keine Länge und Breite angeben, sie stehen fest im Boden verankert. Eine kleine Modifikation gibt es zu den 7 Metzen Wiesenboden, der nun mit "7 Metzen Dresdner Maß Aussaat" bezeichnet wird und damit zu einem Flächenmaß wird. Diese Formulierung bezieht sich auf die Menge Saat z.B. Getreide, die für einen bestimmten Acker benötigt wird.  Um die Plausibilität der Maßangeben zu überprüfen, sei folgende Berechnung ausgeführt:

- Vom Umfang der Wiese ausgehend, ergeben sich ca. 1.400 m Fläche. 

- Die 7 Metzen entsprechen einem Hohlmaß von 45,5 Litern

- Nach dem spezifische Gewicht von Getreide, wäre das Gewicht der Aussaat ca. 27 kg

- Nach heutigen Berechnungen der Aussaatmenge an Getreide für 1.400 m liegt das Gewicht zwischen 18 und 30 kg

Damit wären alle Angaben zur Wiese korrekt. Der Besitzer der anderen Wiesen um die Spinnfabrik und Eigentümer des Felsengutes, Johann Samuel Kreißig, war inzwischen verstorben und da er keinen männlichen Erben hatte, übernahm sein Schwiegersohn Karl Gottlieb Lohse seinen Besitz. Damit gingen auch alle Pflichten des neuen Spinnfabrikbesitzers in Kamerun an ihn über.

Unklar ist, ob im Kaufpreis auch Schaarschmidts Spinnmaschinen enthalten waren. Das aufgeführte Inventar bestand nur aus Geräten zum Brandschutz wie einer Leiter, Wassereimer und Feuerhaken. Das war damals wohl verbindlich. Über die drei Gebäude wurde nichts ausgesagt. Weder die Zahl der Etagen des Wohnhauses und des Nebengebäudes wurden erwähnt, noch der Zustand der Spinnerei. Da das ursprüngliche Sägewerk höchstwahrscheinlich ein einstöckiges Holzhaus war, passten die Spinnereimaschinen gar nicht hinein und das Gebäude musste zweifellos ausgebaut werden. Ob schon Schaarschmidt diesen Aus- bzw. Neubau veranlasste ist zweifelhaft, denn der Preis für die Spinnerei ist zu niedrig. 1831 wurde die "Michel'sche Spinnmühle" mit 1656 Spindeln benannt (5). 

Ein Leipziger Kaufmann übernimmt 1837 das Geschäft

Leopold Michel verkauft die Spinnfabrik in Kamerun nach nur 7 Jahren. Die Gründe sind genauso unbekannt wie Michels weiterer Werdegang. Der neue Käufer, Karl Christian Auerbach, stammt aus Leipzig, hat sich aber in Chemnitz als Kaufmann niedergelassen. Dass diese Spinnerei nur ein weiteres Geschäftsfeld für ihn darstellt, erkennt man daran, dass er zur Unterzeichnung des Kaufvertrages einen Stellvertreter schickt. Den inzwischen auf 14.250 Thaler gestiegenen Kaufpreis will er in 4 Raten bis 1838 zahlen.

Der hohe Kaufpreis erklärt sich zum einen dadurch, dass sämtliche von Leopold Michel angeschafften Spinnereimaschinen mit verkauft wurden. Die Liste dieser Maschinen enthält unter anderem 15 Krempelmaschinen, 2 Vorspinnmaschinen, 12 Spinnmaschinen, zwei Streckwerke, zwei Schlagmaschinen und acht Stück Weifen (Haspel). Dazu kommen noch diverse handwerkliche Utensilien, wie eine Drehbank, eine Hobelbank, ein Schraubstock sowie Sägen, Hobel, Stemmeisen, Bohrer, Feilen und Drehstähle, auch eine Schreibstube mit Garnregal und Garnsortierwaage ist im Gebäude.

Die Gebäude nach 1945 Quelle (10)
Die Gebäude nach 1945 Quelle (10)

Die Anzahl der Maschinen ist ein Beleg dafür, dass Michel die Spinnfabrik massiv ausgebaut haben musste um seine Maschinen unterzubringen. Das Gebäude hatte mindestens zwei Etagen und höchstwahrscheinlich auch ein ausgebautes Dachgeschoß. Das nebenstehende Bild zeigt die drei Gebäude der ehemaligen Spinnerei zu DDR-Zeiten. Das 2-stöckige Gebäude in der Mitte ist die Spinnerei, unten links daneben das Nebengebäude und dann das Wohnhaus. Dass die Spinnerei ein Flachdach hat, ist für die 1830er Jahre untypisch und lässt sich durch mehrere Brände zu erklären. Ob schon beim ersten Brand 1844 das Spinnereigebäude betroffen war ist nicht überliefert aber unwahrscheinlich, da noch über zwei Jahrzehnte weiter gesponnen wurde. 1867 brannte es wieder und möglicherweise wurde danach das Dachgeschoss abgerissen und durch ein Flachdach ersetzt.

In einem Versicherungsdokument des Brandkatasters, das sich auf die Jahre von 1849-54 mit allen Nachträgen beläuft, ist das gesamte Objekt mit 11537 1/2 Th. versichert. Dazu gehörten:  

a) Wohnhaus  Wert 1850 Th.  

b) die Contiergerätschaften (250 Th.) 

c) eine Kämmmaschine und eine viergängige Strecke beides ungangbar auf dem Dachboden des Wohnhauses aufbewahrt (50 Th.) 

d) das Spinnereigebäude mit angebautem Treppenhaus am linken Giebel und ebendaselbst angebauten Schuppen, auch einen Werkstattanbau an der vorderen Längsseite (2400 Th.) 

e) das gehende und treibende Zeug der Spinnerei (600Th.) 

f) die Hilfs- und Betriebsmaschinen samt angegebenen Spinnereiutensilien (8350 Th.) 

g) die Werkstattgerätschaften (150 Th.) 

h) das Seitenwohngebäude links des Wohnhauses mit Holzschuppen am linken Giebel des Seitengebäudes (250 Th.) 

Quelle (10)

Die frühen Spinnmaschinen bestanden größtenteils aus Holz, vor allem das Gestell. Nur wenige Teile bestanden aus Kupfer oder Eisen. Angetrieben wurde sie zu Leopold Michel's Zeiten mit Wasserkraft, die Spinnmaschinen mit über 100 Spindeln je Maschine antreiben konnte. Der neue Besitzer Karl Christian Auerbach investierte in neue Maschinen. Da die Spinnmaschinen immer größer wurden und mehr Spindeln erhielten, verwendete man statt Holz immer mehr Eisen, das Kräfte und Drehmomente besser übertragen kann und weniger Reibung erzeugt.

Die Spinnfabrik geht in Kemtauer Besitz über

Auerbach starb 1843 und seine Erben verkauften die Kameruner Spinnfabrik an Karl August Lohs aus Kemtau. Ob er mit dem Besitzer des Felsengutes, Karl Gottlieb Lohse, verwandt war ist unwahrscheinlich, da Herr Lohs weiterhin Abgaben an an das Felsengut entrichten musste. Der Kaufpreis der Spinnerei belief sich auf 9.150 Thaler und lag somit deutlich niedriger als vor 6 Jahren. Da lt. Kaufvertrag (6) das gesamte Spinnereizubehör mit verkauft wurde, ist der geringere Preis unverständlich. 

Das Inventar der Spinnerei im Jahre 1843

Im genannten Kaufvertrag wird erfreulicherweise das Inventar der Fabrik sehr umfangreich und auch detailliert aufgeführt. Dazu gehört auch die Ausstattung von Nebenräumen, wie die Schreibstube. Darin befand sich eine Ladentafel von weichem Holz mit Schubkästen. Dazu kamen zwei Schreibpulte von weichen Holze mit Schränken und Kästen, ein Garnregal von weichem Holze. In der Stube standen auch drei verschiedene Waagen, eine große Wollwaage mit eisernen Balken, hölzernen Schalen, 7. Stück Eisengewichten, 3 3/4 Centner in Summe. Mit ihr wurden die gelieferten Baumwollballen gewogen. Die beiden kleineren Waagen waren eine Garnwaage mit messingnen Gradbogen und eine Garnwaage mit eisernen Balken und Bleichschaalen, 13. Stück eisernen und 1. Pfund kleine Messinggewichten

Durch diese Beschreibung kann man sich sehr gut in eine damalige Schreibstube hineinversetzen. Ein weiterer Nebenraum beherbergte eine Werkstatt für Reparaturarbeiten an hölzernen und eisernen Maschinen. Zur Ausstattung gehörte:

- ein hölzerner Werktisch mit zwei eisernen Schraubstöcken und dazu gehörigen Schlosserwerkzeug

- eine Hobelbank nebst Zubehör an Hobeln und anderem Tischlerwerkzeug

- ein Schleifstein mit hölzernen Trog

Dass dieser Bereich räumlich getrennt war um Schmutz von der Garnverarbeitung fernzuhalten, ist selbstverständlich.

Aus den Versicherungsunterlagen geht nun hervor, dass das Anwesen wie folgt versichert war: 

a) Wohngebäude 200 Th., Schuppen  

b) 183 Th., Stall und Schuppen und Nebenwohngebäude 1575 Th., Abtrittgebäude 6 ¼ Th., 

c) Spinngebäude 2500 Th., Krempelgebäude 100 Th., Treppengebäude 150 Th., Reinigungstrommellager 1242 Th., Maschinen und das gangbare Zeug der Spinnerei 875 Th., Baumwollspinnmaschinen mit Zubehör 5550 Th., Maschine und größere Werkzeuge 200 Th. Gesamt: 15987 ½  Th.  

Quelle (10)

Rätselhafte Utensilien

Geht man die Inventarliste der Spinnfabrik weiter durch stößt man auf zwei rätselhafte Positionen:

558. Stück Mulattentöpfe von Schwarzblech 4 Zoll Durchmesser
558. Stück Mulattentöpfe von Schwarzblech 4 Zoll Durchmesser

Bemüht man nun eine Suchmaschine im Internet und gibt den Begriff "Mulattentopf" ein, findet man nichts. Schon gar nichts, was mit der Spinnerei zu tun hat. Etwas weiter unten in der Inventarliste findet sich der Begriff wieder in einem anderen Zusammenhang:

ein Mulattenstuhl auf eisernem Gestelle mit 12. Mulatten
ein Mulattenstuhl auf eisernem Gestelle mit 12. Mulatten

Auch einen Mulattenstuhl gibt es im heutigen Sprachgebrauch nicht mehr. Erst in der damaligen Fachliteratur zum Thema Spinnerei und Weberei finden sich Hinweise zu "Moletten" und auch einem "Molettenstuhl" oder "Molettenstrecke" (7). Hat sich der Gerichtsschreiber hier einen Scherz erlaubt? Sicher nicht. Vermutlich war unter den anwesenden Erben des Spinnereibesitzer Auerbach und den Kemtauer Käufern der Fabrik kein Experte, der das französische Fremdwort Molette kannte. So war der Begriff Mulatte wohl falsch übermittelt worden.

Eine Strecke zur Weiterverarbeitung des gekrempelten Baumwollgeflechts (8)
Eine Strecke zur Weiterverarbeitung des gekrempelten Baumwollgeflechts (8)

Was verbirgt sich nun hinter dem französischen Begriff Molette?

Der Molettenstuhl gehört zum Arbeitsgang des Streckens, der sich an dem schon erwähnten Krempelvorgang anschließt. Das breite Baumwollvlies wird nun in mehreren Arbeitsgängen gestreckt und in Fadenform gebracht. Danach kommt der Molettenstuhl zum Einsatz.

Moletten auf einer Walze (7)
Moletten auf einer Walze (7)

Das von der Strecke gelieferte lose Gespinnstband wird hier durch eine Fuge bewegt und mit eisernen Walzen, den Moletten, zusammengepresst um ihm einen besseren Zusammenhalt zu geben. Da das Ergebnis immer noch nicht gespult werden kann, wird das gepresste Band in eisernen Töpfen aus Schwarzblech spiralförmig abgelegt. Damit sind die 558 Molettentöpfe (Mulattentöpfe) des Inventarverzeichnisses geklärt. Diese gefüllten Töpfe werden dann zur Weiterverarbeitung zu den Vorspinnmaschinen gebracht.

Der Spinnvorgang

Der Bestand an Spinnmaschinen im Jahre 1843 umfasst:

1

Vorspinnmaschine

auf Holzgestell mit 96. Nadelspindeln

2

Vorspinnmaschinen

Mit 102 Stahlspindeln

2

Feinspinnmaschinen

auf Holzgestell mit 204 Spindeln

5

Feinspinnmaschinen

bessere Bauart mit 192 Spindeln

5

Feinspinnmaschinen

jede mit 204 Spindeln

1

Feinspinnmaschine

geringere

Bei dieser Aufstellung ist die Anzahl der Spindeln zu beachten. Hatten die Spinnmaschinen der Herrn Michel um 1831 noch 120 Spindeln pro Maschine - der typischen Anzahl für wassergetriebene Spinnereien, liegen die Spinnmaschinen des Herrn Auerbach bei zweihundert Spindeln. Diese modernen Feinspinnmaschinen wurden offenbar nit Dampfkraft angetrieben.

Feinspinnmaschine (8)
Feinspinnmaschine (8)

Die Wattmaschine

Unter Position 19 der Inventarliste (6) findet sich dann auch "eine Wattwaschine, ganz von Eisen" und das Zubehör "zwölf Stück viereckige Töpfe von Schwarzblech zu den Wattmaschinen" - gab es mehrere Dampfmaschinen in Kamerun? Die Wattmaschine war benannt nach James Watt. Er war zwar nicht der Erfinder, sondern hatte sich mit der Verbesserung des Wirkungsgrades der Dampfmaschine beschäftigt und stattete sie mit Fliehkraftreglern zur Konstanthaltung der Drehzahl bei Belastungsschwankungen aus.

Dampfmaschine von James Watt Quelle: Wikipedia
Dampfmaschine von James Watt Quelle: Wikipedia

Die Darstellung der Watt'schen Dampfmaschine, ohne den Dampfkessel, zeigt auch den Fliehkraftregler.

Dass die Spinnfabrik im Kemtauer Ortsteil Kamerun schon im Jahre 1843 mit einer Dampfmaschine ausgerüstet war, gibt Rätsel auf. Denn in der Unternehmensgeschichte der Maschinenfabrik Germania der Familie Schwalbe heißte es: "Im Jahr 1846 erfuhr der Betrieb eine Erweiterung und Verlegung zur Angergasse. Dort errichtete Franz Louis Schwalbe die erste dampfbetriebene Baumwollspinnerei in Sachsen". (9) 

Dass schon zwischen 1837 und 1843 in Kamerun eine Dampfmaschine zum Antrieb der Spinnmaschinen eingesetzt wurde, ist wohl in Vergessenheit geraten.

Das Ende der Spinnfabrik in Kamerun

1847 die Spinnfabrik ging an den Besitzer des „Felsengutes“, Karl Gottlieb Lohs über

1860 kaufte sein Sohn, Carl Friedrich Lohs, die Fabrik

Ab 1864 trat ein ständiger Besitzerwechsel ein

1867 war Friedrich August Beier Besitzer der mit 2000 Spindeln betriebene Spinnerei und ein Feuer zerstörte das Gebäude

Damit endet die Spinnereiphase in Kamerun. Was im Ortsteil Kamerun vor und nach dieser Geschichte geschah, kann hier nachgelesen werden.

Quellen

(1) Gerichtshandelsbuch von Kemtau, Sächsisches Staatsarchiv, Nr. GB AG Chemnitz Nr. 185, 1808-1824

(2) Amtsberger Anzeiger, Die Spinnerei Schaarschmidt in Dittersdorf S. 6, Juli 2014

(3) Das Krempeln der Wolle Streichgarn-Spinnerei und Kunstwoll-Industrie, Verlag Julius Springer, 1876

(4) Gerichtshandelsbuch von Kemtau, Sächsisches Staatsarchiv, Nr. GB AG Chemnitz Nr. 186, 1825-1840

(5) Handbuch der Geographie, Statistik und Topographie des Königreiches Sachsen, Albert Schiffner, Leipzig 1839

(6) Gerichtshandelsbuch von Kemtau, Sächsisches Staatsarchiv, Nr. GB AG Chemnitz Nr. 187, 1841-1847

(7) Oger's Lehrbuch der Baumwoll-Spinnerei, Leipzig 1844

(8) Die Baumwoll-Spinnerei in allen ihren Teilen Atlas, 1885

(9) Maschinenfabrik Germania Chemnitz/VEB Germania Karl-Marx-Stadt, Staatsarchiv Chemnitz, Bestand 30984

(10) Eine bewegte Geschichte, A. Uhlig, Zwönitztalkurier Juli 2010